Brain Suite: Anästhesie für Fortgeschrittene
24.09.2010 -
Seit rund zwei Jahren ist die Brain Suite der Arbeitsplatz von Dr. Dirk Repkewitz, Chefarzt der Neuroanästhesie am Bezirkskrankenhaus Günzburg. Der Operationssaal mit integriertem Kernspintomograf, Hightech-Mikroskop und Neuronavigation ermöglicht dem arbeitenden Ärzteteam eine höhere chirurgische Präzision bei Eingriffen am Gehirn als je zuvor. „Das Herzstück der Brain Suite ist der Kernspintomograf, der mit einer magnetischen Anziehungskraft von 1,5 Tesla arbeitet", berichtet Repkewitz.
Da das Hochfrequenzfeld sehr empfindlich ist, befindet sich das Gerät in einem farblich markierten Bereich, der für metallische Gegenstände absolut tabu ist. „Das hat zur Folge, dass die OP-Zone während des Eingriffs weit außerhalb des Magnetfeldes liegt. In einem solchen Umfeld findet auch die Anästhesie mit speziellen Geräten statt, die das Hochfrequenzfeld nicht stören", sagt Repkewitz. Dazu setzt der Anästhesist spezielle MRT-taugliche Infusionspumpen, Monitore und Narkosgeräte ein. Die Pumpen sind frei zugänglich, d. h. nicht in einem Käfig abgeschirmt. Da sie über Rollenpumpen funktionieren, sind sie eigentlich Infusomaten, also elektrische Infusionspumpen. Der Gerätewagen lässt sich bis ganz an das Magnetfeld heranfahren.
„Wir verwenden außerdem überlange Kinderschläuche ohne Wasserfalle und leiten alle Kabel und Infusionsschläuche geordnet zum Fußende heraus. Das erleichtert den Transfer in den Kernspintomografen, schränkt hinsichtlich der fehlenden Wasserfallen jedoch die Anästhesie-Möglichkeiten ein", sagt Repkewitz. Low- flow- und volatile Anästhetika müssen zugunsten einer total intravenösen Anästhesie zurückstehen, bei der Bewusstseinsverlust und Schmerzfreiheit durch intravenöse Injektion oder kontinuierliche Infusion eines Schlafmittels und eines Schmerzmittels herbeiführt werden. Soll in Einzelfällen dennoch Gas verwendet werden, können laut Repkewitz nur Sevoflurane und Isoflurane eingesetzt werden. „Desflurane eignet sich dagegen nicht, weil sich die Heizung des Verdampfers mit dem Hochfrequenzfeld überlagert und dadurch rauschige Bilder verursacht." Eine Studie mit Schweinen habe gezeigt, dass Sevofluran aufgrund seiner Wirkungen auf die cerebrale Hämödynamik sowieso das bessere Gas für die Neuroanästhesie sei.
Über einen WLAN Anschluss überwacht und steuert der Anästhesist die Narkose des Patienten, der direkte Patientenkontakt fällt somit weg. Er hat zwar Zugriff auf die Pumpen, aber nicht auf das Narkosegerät selbst. Diesen Punkt kritisiert Repkewitz stark, zumal sich die Herstellerfirmen aus Sicherheitsgründen vehement gegen eine WLAN-Bedienung des Narkosegerätes sperren.
Das Narkosemonitoring in einem Brain Suite unterscheidet sich kaum von einem üblichen. Allerdings sei das EKG-Signal stark gefiltert und auch nicht zuverlässig stabil, berichtet Repkewitz aus seinen Erfahrungen. Je nach Monitorhersteller braucht der Anästhesist auch spezielles EKG-Zubehör und immer Ohrenschutz. Und natürlich muss das Team auch auf kleinste Details achten.
Am Günzburger Bezirkskrankenhaus verwenden die Mitarbeiter vorgebogene Tuben, die sicher liegen und sich gut aus der Spule herausleiten lassen. Die Magensonde wird immer oral eingeführt, „weil die Patienten postoperativ sowieso extubiert werden", sagt Repkewitz. Trotz eines Hightech-Eingriffs innerhalb des Schädels und langer OP-Zeit - sie beträgt in der Regel sechs Stunden, möglich sind aber auch zwölf Stunden - sieht er keinerlei Indikation für einen zentralen Venenkatheter. „Wenn ich aber doch einen lege, dann immer mit Ultraschall, weil es schneller geht."
Für den Anästhesisten bietet die Brain Suite auch einige Gefahren und Fallstricke. „Wir haben weitaus weniger Zugriff auf den Patienten", berichtet Repkewitz. Normale Armauslagerungen, wie sie in herkömmlichen OP-Sälen üblich sind, sind hier nicht vorhanden. Dafür liegen die Arme eng am Körper des Patienten an. Ein weiteres Problem ist, dass „wir bislang noch nicht die Möglichkeit haben, die Ventilation von außen zu steuern", sagt Repkewitz.
Obwohl er ein Gegner der Dauerrelaxierung in der Neuroanästhesie ist, macht er bei der Narkose in der Brain Suite eine Ausnahme. „Die Lage des Kopfes zum Nullpunkt muss absolut stabil bleiben. Deshalb muss zur Sicherheit die Relaxierung vorhanden sein, solange die Navigation gebraucht wird."
Die Brain Suite im Einzelnen
Kernspintomograf
Der Kernspintomograf erlaubt eine erweiterte Bildgebung - u.a. eine Darstellung der Nervenbahnen und die Darstellung der Gefäße.
Spezieller OP-Tisch
Der spezielle OP-Tisch hat eine integrierte Landeklappe. An diesem Tisch wird die Kopfspule montiert, die gleichzeitig als Kopfhalterung für die OP fungiert.
Navigationsgerät
Das Navigationsgerät mit Infrarotkamera und Steuereinheit sowie die zugehörige Software sind die dritte Komponente. Reflektierende Kugeln markieren den Referenzpunkt im Raum. Anhand der Kugelanordnung werden die verschiedenen Geräte erkannt. Die Spule hat an der Unterseite noch weitere Marker für die automatische Referenzierung, d. h., das Navigationssystem erkennt einerseits die Lage der Spule über die Kugeln und über die Marker an der Unterseite, andererseits die Lage des Kopfes in der Spule anhand des erstellten MRT-Bildes. Im Vergleich zum Navigationsgerät im Auto ist das MRT-Bild die Straßenkarte, die Infrarotkamera der Satellit und das Mikroskop das Auto.
Mikroskop
Das deckenmontierte OP-Mikroskop ist der vierte Bestandteil der Brain Suite, in dessen Okular alle wichtigen Daten für den Operateur eingespielt werden. Hier sieht der Arzt mithilfe einer Linie, wo im Gehirn die Grenze zwischen gesundem Gewebe und Tumorgewebe verläuft.