TSIS Kongress: Chronische Entzündungen führen zu Herzinfarkt und Diabetes
14.03.2012 -
TSIS Kongress: Chronische Entzündungen führen zu Herzinfarkt und Diabetes. Beim 7. „World Congress on Trauma, Shock, Inflammation and Sepsis (TSIS)“ diskutierten in München internationale Experten über neu entdeckte molekulare Zusammenhänge zwischen entzündlichen Prozessen und der Entstehung der beiden Volkskrankheiten. Neuesten Erkenntnissen zufolge spielt die Masse an eingelagertem Fett eine entscheidende Rolle. Fettgewebe ist nicht nur ein Energiespeicher, sondern es wirkt auch wie ein Organ, das Botenstoffe produziert. Insbesondere überschüssiger Bauchspeck, das haben neue Untersuchungen ergeben, sendet mitunter fatale Signale aus. „Das Fettgewebe aus der Bauchhöhle setzt Immunbotenstoffe frei, die chronische Entzündungen hervorrufen“, erklärte Kongresspräsident Prof. Eugen Faist vom Universitätsklinikum München- Großhadern. „Auf diese Weise wird die Entstehung von Arteriosklerose begünstigt, die zum Herzinfarkt führen kann, sowie die Wirkung des Hormons Insulin herabgesetzt, was maßgeblich für die Entstehung von Diabetes ist.“
Gefäßverkalkung beginnt schon in der Jugend
Arteriosklerose ist ein entzündlicher Prozess, der meist schon in der Kindheit oder Jugend beginnt. An den Innenwänden der Gefäße haften sich Makrophagen an, die sich zusammenrotten und schädliches Cholesterin einlagern. Diese bedrohlichen Plaques produzieren stetig neue, die Entzündung fördernde Boten- oder Signalstoffe wie TNF alpha oder verschiedene Interleukine. Nikotin, Bluthochdruck und cholesterinreiche Ernährung beschleunigen den Prozess. „Inzwischen wissen wir, dass sich auch Bakterien bei den Plaques einnisten und die Entzündung weiter verstärken“, so Prof. Faist. Bricht die dünne Schutzschicht zwischen Plaque und Gefäßinnenraum auf, nimmt das Unheil seinen Lauf: Der gefährliche Zellhaufen löst sich ab und kann eine Herzkranzarterie verstopfen – der Infarkt ist da.
Botenstoffe stoppen Entzündung oder feuern sie an
Zwei weitere Signalstoffe spielen bei der krankhaften Entwicklung wahrscheinlich ebenfalls eine große Rolle: Zum einen das Adiponektin, das in den Blutgefäßen entzündungshemmend und damit schützend wirkt. Adiponektin wird ebenfalls im Fettgewebe hergestellt, jedoch nimmt die Produktion umso stärker ab, je mehr Fettmasse der Körper einlagert. Umgekehrtes gilt für den zweiten Botenstoff, das Hormon Leptin. Je mehr Fett, desto mehr Leptin im Blut. Leptin wirkt allerdings nicht schützend, sondern feuert die Entzündung in den Gefäßen noch an, indem es natürliche körpereigene Reparaturprozesse hemmt.
Neue Behandlungsansätze in der Entwicklung
Langfristig hoffen die Wissenschaftler, aus diesen neuen Erkenntnissen Ansatzpunkte für geeignete Behandlungen zu gewinnen. Prof. Faist: „Vor einigen Jahren gab es bereits erste Studien, Risikopatienten für einen Herzinfarkt mit Antibiotika zu behandeln. Inzwischen versuchen wir, auf molekularer Ebene einzugreifen und Medikamente zu entwickeln, die den entzündlichen Prozess im Ansatz bekämpfen können.“
Weltweite Diabetes-Epidemie: 230 Millionen Betroffene
Jeder vierte Erwachsene in der westlichen Welt leidet am Metabolischen Syndrom – dem tödlichen Quartett aus Übergewicht, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck. Langfristig sterben Patienten mit Metabolischem Syndrom oft viele Jahre früher als vergleichsweise gesunde Erwachsene. Insbesondere die weltweite Diabetes-Epidemie ist weiterhin auf einem beängstigenden Vormarsch. Aktuellen Angaben der Internationalen Diabetes-Föderation (IDF) zufolge ist die Zahl der Diabetiker in den vergangenen 20 Jahren um mehr als das Siebenfache gestiegen; in den nächsten 20 Jahren wird mit einem weiteren Anstieg auf 350 Millionen Diabetiker weltweit gerechnet. Alle 10 Sekunden, so die IDF, stirbt ein Mensch an den Folgen der Zuckerkrankheit.
Diabetes Ergebnis einer ernährungsbedingten Entzündung
Dabei ließen sich etwa 80 % aller Neuerkrankungen durch eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten und mehr körperliche Bewegung vermeiden. „Letztendlich“, so Prof. Faist, „ist Diabetes das Ergebnis einer ernährungsbedingten Entzündung.“ Auch hier spielt die Fettmasse eine entscheidende Rolle, denn mit wachsendem Fettanteil steigt auch die Produktion von entzündungsfördernden Botenstoffen. Und chronische Entzündungsreaktionen reduzieren die Wirksamkeit des Bauchspeicheldrüsenhormons Insulin.
Wechselspiel zwischen körpereigenen und -fremden Substanzen
Insulin ist für die körpereigene Energieverwertung von entscheidender Bedeutung. Das Hormon gibt Muskel- und Leberzellen das Kommando, Zucker aus dem Blut aufzunehmen. Bei Diabetikern ist der Insulin- Stoffwechsel gestört: Zum einen empfangen die Insulinrezeptoren der Muskel- und Leberzellen das Signal immer schwächer (Insulinresistenz), zum anderen versiegt die Hormonquelle in der Bauchspeicheldrüse nach und nach (Insulinmangel). „Diabetes ist ein sehr komplexes Krankheitsbild, das bis heute nicht restlos erforscht ist. Wir haben in den vergangenen Jahren jedoch zahlreiche neue Erkenntnisse über das Wechselspiel zwischen körpereigenen und pathogenen, also körperfremden, Entzündungssubstanzen erlangt. Dieses Wissen wollen wir möglichst rasch zum Nutzen der Patienten umsetzen“, erläuterte Prof. Faist.
Rheumamittel für Diabetiker?
Ein erster Schritt könnte bereits gelungen sein: Beim Weltkongress in München wurde über die Anwendung von Biologicals zur Diabetes-Behandlung diskutiert. Biologicals greifen auf molekularer Ebene in Entzündungsprozesse ein und sind vor allem für die Therapie von chronischem Rheuma entwickelt worden. Eine erste Studie mit einem IL-1-Rezeptor-Antagonisten hat bei den Teilnehmern zu deutlich besseren Blutzuckerwerten geführt. Prof. Faist: „Ein sehr spannender Behandlungsansatz, der Anlass zu Hoffnungen gibt. Euphorie ist sicherlich nicht angebracht, denn noch fehlen Langzeitdaten und Untersuchungen mit größeren Patientenzahlen. Doch wir sind auf einem guten Weg.“