Hygiene

CED im Kindesalter: eine therapeutische Herausforderung

09.05.2012 -

Kinder und Jugendliche leiden immer häufiger an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Im Interview mit M&K erläutert Prof. Dr. Michael Radke weshalb für sie neben einer raschen Diagnose eine effektive und sichere Therapie von entscheidender Bedeutung ist und welche Besonderheiten es dabei zu beachten gilt.

M&K: Welches sind die Hauptprobleme, bei der Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) im Kinder- und Jugendalter?

Prof. Dr. Michael Radke: Bis zu einem Drittel aller Fälle von Morbus crohn und Colitis ulcerosa manifestieren sich innerhalb der ersten 18 Lebensjahre, also während des Entwicklungsalters.

Und obwohl die wissenschaftliche Beschäftigung mit chronische-entzündlichen Darmerkrankungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, wissen wir noch immer zu wenig über die Ätiologie dieser Erkrankungen, um sie heilen zu können. Und die meisten der, für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Frage kommenden entzündungshemmenden Medikamente können wir lediglich off-label einsetzen, da ihnen für diese Patientengruppe die Zulassung fehlt.

Hinzu kommt, dass in Deutschland die Strukturen für die Behandlung von CED bei Kindern noch längst nicht optimal sind. Um die immer jünger werdenden Patienten adäquat behandeln zu können, brauchen wir dringend mehr Kindergastroenterologen. Denn chronisch-entzündliche Darmerkrankungen verlaufen bei Kindern anders, als bei Erwachsenen.

Worin unterscheidet sich die kindliche CED von der im Erwachsenenalter?

Prof. Dr. Michael Radke: Ihr Verlauf ist bei Kindern häufig aggressiver als bei Erwachsenen, wodurch es auch schneller zu teils irreversiblen gastrointestinalen Komplikationen kommen kann. So ist bei Kindern mit einer Colitis ulcerosa meist der gesamte Darm in Mitleidenschaft gezogen.

Manifestiert sich diese Erkrankung im Kindesalter haben 80 % der Betroffenen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits einen ausgedehnten Befall des Darms. Beginnt sie dagegen erst im Erwachsenenalter, ist nur die Hälfte der Patienten so schwer betroffen. Ein kleines Kind, dessen gesamter Dickdarm massiv entzündet ist, hat jedoch keine Chance auf ein kindgerechtes Leben und eine altersgemäße Entwicklung.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Behandlung?

Prof. Dr. Michael Radke: Bei Kindern mit CED ist es zunächst einmal besonders wichtig, die Diagnose so früh wie möglich zu stellen und bei der anschließenden Behandlung zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen, wie etwa das Risiko einer Wachstumsretardierung, die durch die chronische Entzündung selbst, durch Malnutrition, aber auch durch den Langzeiteinsatz von Steroiden bedingt sein kann. Denn jedes Milligramm Steroid ist für diese Kinder eine Wachstums- und Entwicklungsbremse.

Daher müssen wir bei der Behandlung von pädiatrischen CED-Patienten Nutzen und Risiken einer Therapie noch sorgfältiger gegeneinander abwägen, als bei den erwachsenen Patienten. Die First-Line-Therapie bei Kindern besteht aus Mesalazin, Steroiden und vor allem Azathioprin, ein Medikament das ich sehr schnell und großzügig einsetze. Denn es ist gut steuerbar, hat sich in der Langzeittherapie als sicher erwiesen und hilft Steroide einzusparen, die wir im Schub leider nach wie vor einsetzen müssen.

Und wie gehen Sie vor, wenn die Kinder auf die First-Line-Therapie nicht ansprechen?

Prof. Dr. Michael Radke: Bei Kindern mit akuter schwerer Colitis ulcerosa, die sich mit der konventionellen Therapie nicht zufriedenstellend in den Griff bekommen lässt, behandle ich zusätzlich mit Infliximab (Remicade). Ich setzte das Biologikum bei Kindern mit Colitis ulcerosa seit acht Jahren ein. Die positiven Erfahrungen, die ich damit gemacht habe, decken sich mit den Ergebnissen einer aktuellen Phase III Studie. Diese haben die Europäische Arzneimittelbehörde dazu veranlasst, im Januar eine positive Stellungnahme zu Infliximab für Kinder und Jugendliche mit schwerer aktiver Colitis ulceroas abzugeben, die auf eine konventionelle Therapie nicht in ausreichendem Maß ansprechen.

Konnte die Studie denn auch einen langfristigen Effekt der Immunsuppression mit einem Biologikum zeigen?

Prof. Dr. Michael Radke: Bei 68,3 % der Kinder war bis Woche acht die Mukosa geheilt, in Woche 30 befanden sich gemäß demMayo-Score 40 % in klinischer Remission.

Nach 54 Wochen waren, bei Behandlung im achtwöchigen Intervall, noch immer 38,5 % der Kinder in steroidfreier Remission. In der Studie wurden 60 Patienten zwischen 6 und 17 Jahren, bei denen eine Therapie mit Steroiden, Azathioprin/6-Mercaptopurin und/oder 5-ASA nicht erfolgreich oder wegen Unverträglichkeit nicht möglich war, mit Infliximab behandelt. In Woche acht, also nach der Induktionstherapie, hatten nahezu drei Viertel der Patienten klinisch angesprochen. Dieses achtwöchige Schema war effektiver, als das zwölfwöchige.Wo es gut läuft kann man aber mitunter die Abstände im weiteren Verlauf der Therapie auf zehn Wochen ausdehnen. Andererseits gibt es aber auch Patienten, bei denen man die Zeitabstände sogar noch verkürzen muss.

Sie rechnen mit der baldigen Zulassung von Infliximab für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Colitis ulcerosa. Was versprechen Sie sich davon?*

Prof. Dr. Michael Radke: Insgesamt denke ich, dass wir mit der Zulassung einen deutlichen Schritt weiter kommen werden. Denn es gibt noch immer Kollegen, die sich trotz der überzeugenden Studienergebnisse scheuen, das Medikament bei den Eltern ins Gespräch zu bringen, solange es nicht zugelassen ist. Mit der Zulassung hätten wir eine bessere Gesprächsgrundlage.

Infliximab ist kein Allheilmittel, aber es stellt eine deutliche Erweiterung unseres derzeitigen Therapie-Spektrums dar. Denn, wenn es unter guten Bedingungen angewendet wird, ist es ein sicheres und effektives Medikament.

Welche Voraussetzung müssen erfüllt sein, um Kinder sicher mit Infliximab behandeln zu können?

Prof. Dr. Michael Radke: Wir müssen uns bewusst sein, dass wir es hier nicht mit Puderzucker zu tun haben, sondern mit einem hochwirksamen, mit Nebenwirkungen behafteten Wirkstoff, der allergische Reaktionen auslösen kann. Deshalb muss sichergestellt sein, dass dort, wo er angewendet wird, ein erfahrener Kinder-Intensiv-Therapeut verfügbar ist, der bei bestimmten Nebenwirkungen, rasch die richtigen Maßnahmen einleiten kann. Sonst wäre der Einsatz dieses Biologikums nicht vertretbar, erst recht, solange es noch keine Zulassung hat. Zusätzlich ist natürlich eine ausführliche Aufklärung der Eltern wichtig.

Meine Erfahrungen zeigen, dass sich bei Kindern sowohl mit Morbus crohn, als auch mit Colitis ulcerosa, die Anzahl der notwendigen Operationen reduzieren lässt, wenn man bei diesen Patienten vom ersten Tag an eine konsequente Immunsuppression durchführt und die Eltern davon überzeugt mitzuziehen.

 

*Zum Zeitpunkt des Interviews gab es noch keine Zulassung von Infliximab für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Colitis ulcerosa. Mitte März 2012 erfolgte eine EU-Zulassung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Colitis ulcerosa.

Zur Person

Prof. Dr. Michael Radke ist Chefarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Ernst von Bergmann in Potsdam, akademisches Lehrkrankenhaus der Charité Berlin. Nach seinem Studium an den Universitäten Magdeburg und Rostock hat der Kinder- und Jugendarzt und päd­ia­trischer Gastroenterologe (GPGE) an der Universitäts-Kinderklinik Rostock seinen Facharzt gemacht und anschließend als Oberarzt mit den Spezialgebieten Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährungsstörungen bei Kindern gearbeitet. Die Schwerpunkte des gebürtigen Schweriners sind chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Ernährungsstörungen sowie Pro- und Präbiotika in der Kinderheilkunde.

 

Kontakt

Klinikum Ernst von Bergmann

Charlottenstr. 72
14467 Potsdam

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