Einheitlicher Abgabepreis für Arzneimittel auf der Kippe?
01.07.2016 -
Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hält den einheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel für europarechtswidrig.
Die Folgen einer solchen Entscheidung wären schwerwiegend. Doch ob es so kommt, ist mehr als unsicher. Verschreibungspflichtige Arzneimittel unterliegen in Deutschland der Preisbindung: Der Hersteller muss einen einheitlichen Abgabepreis sicherstellen und die Aufschläge der Großhändler und der Apotheken sind gesetzlich festgelegt. Ein Preiswettbewerb oder das Gewähren von Rabatten und Boni sind bei der Abgabe von Apotheken an Patienten ausgeschlossen.
Schon lange wird über die Frage gestritten, ob die Preisbindung auf dieser letzten Stufe – also bei der Abgabe der Apotheken – auch für Versandapotheken gilt, die im EU-Ausland ansässig sind. Das niederländische Unternehmen DocMorris hat hier die Grenzen wiederholte Male mit Bonus- und Rabattaktionen auszutesten versucht. Nachdem sich am Ende sogar der Bundesgerichtshof und das Bundessozialgericht uneinig waren, ob die deutsche Preisbindung auch für ausländische Versandapotheken gilt, kam es im Jahr 2012 zu einer der seltenen Entscheidungen des Gemeinsames Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes. Er legte fest, dass der einheitliche Apothekenabgabepreis auch für ausländische Apotheken gilt und dass dies nicht gegen Europarecht verstößt. Das für seine marktliberale Haltung bekannte OLG Düsseldorf wollte dem jedoch nicht folgen. In einem Rechtsstreit, in dem es erneut um eine Bonusaktion von DocMorris ging, legte es die Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Verstößt das Arzneimittelpreisrecht gegen Europarecht?
Am 2. Juni dieses Jahres veröffentlichte der Generalanwalt am EuGH, Maciej Szpunar, in diesem Verfahren seine Schlussanträge. Und die hatten es in sich: Der Generalanwalt kam zu dem Ergebnis, dass die Preisbindung für Apotheken ihr primäres Ziel, eine einheitliche Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen, völlig verfehle und daher als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit nicht gerechtfertigt sei. Das deutsche Arzneimittelpreisrecht verstoße also gegen Europarecht.
Sollte der EuGH dieser Empfehlung folgen, würde dies den deutschen Gesetzgeber vor große Probleme stellen. Denn ein solches Urteil des EuGH würde zunächst einmal nur bedeuten, dass der einheitliche Abgabepreis nicht für ausländische Versandapotheken gelten darf. Die grundsätzliche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland für Hersteller, Großhändler und Apotheken würde aber bestehen bleiben, also auch für deutsche Versandapotheken. Es käme also zu einer evidenten Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Versandapotheken. Diese „Inländer-Diskriminierung“ wäre zwar rechtlich kaum angreifbar. Politisch aber könnte der Gesetzgeber sie wohl nicht lange aufrechterhalten.
Preisbindung abschaffen?
Was könnte der Gesetzgeber tun? Er könnte die Preisbindung für Apotheken vollständig abschaffen. Ein solches Szenario erscheint aber unwahrscheinlich, denn der Gesetzgeber hat die Preisbindung stets auf mehrere gesundheitspolitische Gründe gestützt, die er nicht von heute auf morgen wegwischen wird. Ein anderer – radikaler – Schritt wäre die Wiedereinführung des Verbots verschreibungspflichtige Arzneimitteln im Versand zu verkaufen. Rechtlich wäre dies durchaus möglich. Da es mittlerweile aber sehr viele, etablierte Versandapotheken gibt, wäre ein Totalverbot dieses erfolgreichen und durchaus erwünschten Geschäftsmodells kein realistischer Schritt. Ein Kompromiss könnte es sein, die Preisbindung zumindest einzuschränken, indem Apotheken ein enger Rahmen vorgegeben wird, innerhalb dessen sie Preise variieren können. Auf diese Weise wäre es ausländischen Versandapotheken möglich, beim Preis zu konkurrieren, ohne dass es zu einem ruinösen Preiswettkampf kommen muss.
Wahrscheinlicher ist aber ohnehin, dass der EuGH dem Generalanwalt gar nicht folgt. Die Schlussanträge können rechtlich nämlich nicht überzeugen. Zwar ist dem Generalanwalt zuzustimmen, dass die Geltung der Preisbindung auch für ausländische Versandapotheken einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit bedeutet. Entgegen der Auffassung des Generalanwalts spricht aber viel dafür, dass dieser Eingriff gerechtfertigt ist.
Der Generalanwalt meint, der einheitliche Apothekenabgabepreis sei nicht geeignet, eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Gerade Versandapotheken könnten helfen, Menschen in entlegenen Gebieten zu versorgen. Im Übrigen sei bei der Versorgung der Bevölkerung nicht der Apothekenmangel, sondern der „ländliche Ärztemangel“ das eigentliche Problem. Und die Sicherung der Qualität der Arzneimittelversorgung werde nicht durch die Preisbindung, sondern durch die ärztliche Verschreibung sichergestellt.
Apotheker als Kontroll- und Beratungsinstanz
Bei dieser Argumentation überschreitet der Generalanwalt nicht nur die Grenze zur politischen Argumentation. Er verkennt auch die besondere Funktion des Apothekers als Kontroll- und Beratungsinstanz und ignoriert den gesetzgeberischen Ermessensspielraum in diesem Bereich. Es erscheint legitim, dass der Gesetzgeber diese Funktion dadurch absichern will, dass er einen ruinösen Preiswettkampf zwischen Apotheken verhindert, indem er durch festgelegte Zuschläge eine angemessene Vergütung für Apotheker sicherstellt. Und der Ärztemangel bedeutet nicht, dass ein einheitlicher Abgabepreis für Arzneimittel von vornherein ungeeignet ist, eine gleichmäßige Arzneimittelversorgung sicherzustellen.
Das Kernproblem ist: Der EuGH hat in den vergangenen Jahren mehrfach entschieden, dass dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zusteht, wenn es um die Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit zum Schutze der Gesundheit geht. Der EuGH hat diesen Spielraum insbesondere anerkannt, wenn es um die Regulierung des Apothekenmarktes ging, und hat auf dieser Basis z.B. gesetzliche Niederlassungsbeschränkungen für Apotheken oder die Vorgabe gebilligt, dass allein Apotheker Inhaber einer Apotheke sein dürfen (Fremdbesitzverbot). Der Generalanwalt kennt diese Rechtsprechung natürlich und appelliert an den EuGH, seine Judikatur zu ändern. Doch es erscheint konsequenter, dass dem Gesetzgeber gerade in dem komplexen Bereich der Gesundheitsversorgung ein Ermessensspielraum bleibt, und dass ihm die Justiz nicht vorgeben kann, welche Maßnahmen zum Erreichen welcher Ziele besser geeignet wären als die von ihm gewählten. Anzeichen dafür, dass der EuGH nun von seiner Rechtsprechung abweicht, sind nicht ersichtlich.
Viel spricht also dafür, dass der EuGH dem Generalanwalt nicht folgen wird und die Preisbindung – und zwar auch für ausländische Versandapotheken – erhalten bleibt.
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