Neue Therapiekonzepte für Diabetiker
10.07.2012 -
Neue Therapiekonzepte für Diabetiker. Allein in Deutschland gibt es derzeit sechs bis acht Millionen Patienten mit bekanntem, manifestem Diabetes und 10 Millionen Menschen in einem prädiabetischen Zustand mit hohen kardiovaskulären Risiken. Therapeutische und diagnostische Verbesserungen sowie die zur Vermeidung von Spätschäden nötige Verschärfung der diagnostischen Kriterien vermehren die Anzahl ebenso wie die steigende Lebenserwartung und der verbreitete ungesunde Lebensstil. Auch bei einer Behandlung kommt es aufgrund der Krankheitsprogredienz zu einem stetigen Anstieg der HbA1c-Werte und einer kontinuierlichen Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse.
Aus heutiger Sicht ist die Insulinresistenz eine der Ursachen für einen Typ-2-Diabetes. Der Ausbruch der Erkrankung aber hängt mit einer Störung der Insulinsekretion zusammen. „Auch der Typ-2-Diabetes muss nach derzeitigem Kenntnisstand im wesentlichen ähnlich wie der Typ-1- Diabetes als eine Erkrankung der Langerhans’schen Inseln betrachtet werden“, erklärt daher Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland auf einem Pressegespräch, vearnstaltet von MSD im Mai 2007 in Hamburg. Die Insulinabgabe im Pankreas wird durch so genannte Inkretine beeinflusst, eine Hormongruppe, die bei der oralen Aufnahme von Glukose aus dem Darm in das Blut freigesetzt werden.
Wichtige Vertreter sind das Glucose-dependent Insulinotropic Peptide (GIP) und das Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1). Normalerweise sind sie für bis zu 70 % der postprandialen Insulinantwort verantwortlich. Inkretine stimulieren die Insulinausschüttung der Betazellen und hemmen gleichzeitig die Glukagonsekretion der Aphazellen. Inkretine tragen damit maßgeblich zur Regulation des Blutzuckerspiegels bei. Darüber hinaus fördern sie unter anderem das Sättigungsgefühl und stimulieren die Betazellregeneration und -neogenese. Heute weiß man, dass die gestörte Glukosehomöosthase eines Typ-2- Diabetikers maßgeblich auch auf eine reduzierte Inkretinbildung zurückzuführen ist. Außerdem werden die wenigen synthetisierten Inkretine innerhalb weniger Minuten durch ein Enzym inaktiviert, die Dipeptyl- Dipeptidase (DPP)-4. Durch eine Hemmung der Aktivität dieses Enzyms – beispielsweise mit dem neuen oralen Antidiabetikum Sitagliptin (Januvia) – lässt sich die Inkretinwirkung erhalten.
Bedarfsgerechte Insulinsekretion mit Sitagliptin
Der DPP-4-Hemmer oder Inkretinverstärker Sitagliptin führt nüchtern und postprandial zu einer effektiven Senkung der Blutzuckerwerte und ist praktisch nebenwirkungsfrei. Es kommt nicht wie bei den Sulfonylharnstoffen zu andauernder, sondern nur zu einer bedarfsgerechten Ausschüttung von Insulin. Daher sind keine Hypoglykämien zu erwarten. Auch Gewichtszunahmen wurden nicht beobachtet. Mit der EU-Zulassung von Sitagliptin steht für Typ-2-Diabetiker, deren Blutzucker trotz Diät und Bewegung mit Metformin bzw. mit PPAR-Gamma-Agonisten alleine nicht ausreichend gesenkt werden kann, ein orales Antidiabetikum als Kombinationspartner zur Verfügung, das gleichzeitig insulinotrope und nicht-insulinotrope Eigenschaften besitzt.
Als „genial“ bezeichnete Prof. Dr. Hellmut Mehnert, München, den neuen Wirkmechanismus (Abb. 1), der die physiologischen Wirkungen der Inkretine durch Verhinderung ihres Abbaus erhält. Eine im Tierversuch gefundene Protektion der Betazellen könnte – sollte sie sich wirklich auf den Menschen übertragen lassen – einen Weg eröffnen, mit dem sich der Verlust der Betazellen aufhalten lässt. „Als Vision“ – so Müller-Wieland – „könnte sich daraus eine Perspektive für die Prävention oder gar Heilung eines Typ-2-Diabetes ergeben“.