Hygiene

Schmerzmittel ohne Suchtgefahr

24.02.2020 -

Einem Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist jetzt ein wichtiger Schritt hin zu einer neuen Generation von Schmerzmitteln ohne Suchtgefahr gelungen.

Opioide haben eine starke schmerzstillende Wirkung, sie können jedoch schnell in eine Abhängigkeit führen. Lange ist vor allem in den USA sorglos mit den Präparaten umgegangen worden. Entsprechend hoch sind die Zahlen der Opioid-Abhängigkeiten, man spricht von der Opioid-Krise. Auch hierzulande werden opioidhaltige Schmerzmittel verschrieben, mit steigender Tendenz. Inzwischen kommen sie selbst bei chronischen Schmerzen ohne Krebserkrankung zum Einsatz. Was bis heute fehlt, sind Medikamente, die starke Schmerzen lindern, gleichzeitig jedoch weniger Gefahren bergen.

Nebenwirkungsarme Alternative in der Schmerztherapie

Prof. Dr. Christoph Stein, Direktor des Arbeitsbereiches Experimentelle Anästhesiologie am Campus Benjamin Franklin, ist mit seinem Team einer nebenwirkungsarmen Alternative in der Schmerztherapie auf der Spur. Drei Opioidsubstanzen, sie tragen die Namen FF6, FF3 und NFEPP, hat die Forschungsgruppe bereits neu entwickelt und in Computersimulationen gemeinsam mit Kollegen am Zuse-Institut für angewandte Mathematik Berlin (ZIB) getestet. Jetzt konnten die Forschenden die Schmerzreduktion und typische Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Verstopfung und die Gefahr eines Atemstillstandes sowie das Suchtpotenzial in einem Tiermodell für Entzündungsschmerz genauer beobachten. „Im Vergleich zum Standard-Opioid Fentanyl sprechen die Ergebnisse der neuartigen Substanzklasse für sich“, sagt Prof. Stein, der auch Mitglied des Einstein-Zentrums für Neurowissenschaften ist. „Je näher der pKa-Wert des Bindungsmoleküles am Säurewert des entzündeten oder verletzten Gewebes liegt, um so selektiver werden ausschließlich Opioidrezeptoren am Schmerzherd selbst aktiviert und umso geringer ist die Gefahr von Sucht oder Nebenwirkungen. Im Fall von Fentanyl liegt der pKa-Wert über dem physiologischen pH-Wert, außerdem gelangt das Standard-Opioid nachweislich schneller ins Gehirn.“

Säurewert am Schmerzherd ist entscheidend

Die Wissenschaftler verfolgen den Ansatz, Entzündungsschmerz und postoperativen Schmerz am Ort des Geschehens, direkt im verletzten Gewebe, zu beheben. Im Gegensatz zu konventionellen Opioiden aktivieren die neuartigen Substanzen ausschließlich in saurem Milieu Opioidrezeptoren, die Andockstellen für Schmerzmedikamente, und wirken somit nur in verletztem Gewebe. Schwerwiegende Nebenwirkungen bleiben auf diese Weise aus. „Mit dem Ziel, die für eine optimale Wirkung notwendigen chemischen Eigenschaften der neuen Substanzen abzuleiten, haben wir nun in kultivierten Zellen das Zusammenspiel von Opioid-Bindungsmolekülen mit Opioidrezeptoren bei verschiedenen pH-Werten untersucht. Einige der Rezeptoren sind zusätzlich genetisch verändert worden“, erklärt Studienleiter Prof. Stein. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Säure-Dissoziations-Konstante, der pKa-Wert, eines Opioidmoleküls seine Gefährlichkeit, also Nebenwirkungen wie Suchtentstehung oder Atemstillstand, bestimmt. Bislang war die Bedeutung von pH- und pKa-Werten für die Sicherheit von Opioiden völlig unbekannt.“ Eine richtungweisende Erkenntnis auf dem Gebiet der Rezeptorforschung.

Die Feinabstimmung des pKa-Wertes und bestimmte chemische Brückenbildungen mit Opioidrezeptoren sind entsprechend der aktuellen Untersuchungen maßgeblich, wenn es um die Entwicklung neuartiger Medikamente geht. Wird die neue Generation von Schmerzmitteln Realität, könnten gefährliche Nebenwirkungen und Suchtgefahr der Vergangenheit angehören. „Wir haben bereits in zahlreichen klinischen Studien zeigen können, dass die selektive Aktivierung von peripheren Opioidrezeptoren in verletztem Gewebe, beispielsweise durch lokale Injektion konventioneller Opioide wie Morphin, eine potente Schmerzstillung beim Menschen bewirkt. Daher sind wir zuversichtlich, dass unsere neue Substanzklasse, die nun erstmals auch intravenös verabreicht werden kann, erfolgreich sein wird“, sagt Prof. Stein. Erste klinische Studien, bei denen die neuartigen Substanzen zur Anwendung kommen, sollen in zwei bis drei Jahren starten. Parallel arbeitet die Forschungsgruppe unter anderem im Rahmen des Förderprogramms SPARK am Berlin Institute of Health (BIH) an weiteren Substanzen der neuen Generation.

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