Aus den Kliniken

Chronische Nierenerkrankung

06.10.2020 - Wissenschaftler warnen vor Fehleinschätzungen bei der Therapiesteuerung, da gebräuchliche iPTH-Assays nicht zwischen bioaktivem und inaktivem Hormon unterscheiden.

Viele Funktionen des menschlichen Körpers werden über Hormone reguliert. Krankheitszustände können diese Botenstoffe beeinflussen. In der klinischen Praxis wird der Status bestimmter Botenstoffe genutzt, um Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand zu ziehen und daraus die weitere Therapie abzuleiten. Ein Beispiel aus der gängigen Praxis ist die Erfassung des Nebenschilddrüsenhormons (Parathormon, PTH) bei der chronischen Nierenerkrankung, da bekannt ist, dass die Konzentration des PTH mit abnehmender Nierenfunktion progressiv ansteigt.

Eine Forschergruppe aus der V. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim (UMM), um Professor Dr. med. Berthold Hocher, konnte schon vor einigen Jahren zeigen, dass PTH bei nierenkranken Patienten oxidiert wird, und dass dies zum Funktionsverlust des Hormons führt. In ihrer aktuellen Arbeit gingen die Forscher der Frage nach, inwieweit die Oxidation von PTH den Krankheitsverlauf beeinflusst und ob der Zustand von PTH – ob oxidiert oder nicht-oxidiert – für die Therapieentscheidung relevant sein könnte.

Die Forscher untersuchten dazu das Zusammenspiel von PTH und einem weiteren Hormon, des von Knochenzellen produzierten Fibroblasten-Wachstumsfaktors 23 (FGF 23), bei nierenkranken Patienten. Beide Hormone spielen eine wesentliche Rolle in der Regulation des Kalzium- und Phosphathaushaltes. Störungen in diesem System verursachen Knochenerkrankungen, aber insbesondere auch eine Verkalkung von Blutgefäßen – eine wesentliche Ursache von Gefäßschäden und der hohen Sterblichkeit von nierenkranken Patienten.

In den meisten früheren Studien waren PTH und der FGF 23-Serumspiegel eng miteinander korreliert und es wird vermutet, dass FGF 23 und PTH sich gegenseitig in einer negativen Rückkopplungsschleife regulieren. Bei diesen Studien wurde allerdings nicht zwischen oxidiertem und nicht-oxidiertem PTH unterschieden.

Die Mannheimer Arbeitsgruppe konnte in der Zellkultur zeigen, dass nur nicht-oxidiertes PTH, nicht aber oxidiertes PTH, die Synthese von FGF 23 stimuliert. Mit diesem Befund stimmen auch die klinischen Daten aus zwei unabhängigen Kohortenstudien überein. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass nur das nicht-oxidierte PTH Teil dieses wichtigen hormonellen Regelkreises ist.

Die Wissenschaftler machten eine weitere, in diesem Zusammenhang wichtige Beobachtung: Sie konnten nachweisen, dass der in vielen Lehrbüchern beschriebene deutliche Anstieg des Nebenschilddrüsenhormons PTH bei abnehmender Nierenfunktion hauptsächlich auf einen Anstieg des oxidierten, inaktiven PTH zurückzuführen ist, wohingegen das biologisch aktive, nicht-oxidierte PTH, nur mäßig ansteigt.

„Wir müssen die Eignung der in der klinischen Routine gebräuchlichen iPTH-Assays für darauf fußende Therapieentscheidungen kritisch hinterfragen“, warnt Professor Hocher. Denn: Die iPTH-Assays erlauben keine Unterscheidung zwischen bioaktivem (nicht-oxidiertem) und inaktivem (oxidierten) PTH, sondern messen lediglich das Gesamt-PTH. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass diese Assays zu einer Fehleinschätzung der Menge an wirklich wirksamem Hormon führen und eine korrekte Therapiesteuerung damit nicht möglich ist. In der Zukunft sollten nur PTH-Assays Verwendung finden, die ausschließlich das bioaktive PTH messen.“

Die Bedeutung der vorliegenden Ergebnisse könnte weit über das Verständnis der biologischen Eigenschaften von PTH hinausgehen. Denn viele Peptidhormone haben ebenso wie PTH Aminosäuren in ihrer Aminosäuresequenz, die unter Bedingungen des oxidativen Stresses oxidiert werden können. Wenn die Oxidation die biologischen Eigenschaften auch dieser Hormone verändert, könnte dies ähnliche Folgen haben wie es für PTH gezeigt wurde: Funktionsverlust der oxidierten Hormone und Fehleinschätzung der Menge an wirksamem Hormon.

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