Bauen, Einrichten & Versorgen

In der Skala der Abstraktion - Räume und stimulierende Oberflächen

07.12.2020 - Es lohnt sich, inspirierte Betreiber von Altenwohn­einrichtungen zu befragen, die ihre Räume nach sensorischen Aspekten gestalten

Es lohnt sich, inspirierte Betreiber von Altenwohn­einrichtungen zu befragen, die ihre Räume nach sensorischen Aspekten gestalten. Erfahrungen aus der Praxis des Wohnens mit älteren Menschen zeigen, dass weit mehr als Tisch, Stuhl und Bett der Schlüssel zu behüteten Wohnräumen sind. Dr. Dr. Christoph Metzger geht diesem Thema nach – im Gespräch mit Praktikern und mit selbst Gesehenem in Venedig, Potsdam und Frankfurt.

Was in der Ausbildung von Architekten am Beginn stehen sollte, wird von wenigen Betreibern praktiziert. Monika Egger und Ina Kühne (Fontiva) erläuterten im Rahmen eines Workshops der Open Mainded Projektentwicklung AG am 18. August in Frankfurt am Main, man habe sich nach langer Suche für einen Bodenbelag entschieden, der sich ideal ins Bild einfügt und in der Summe jene Eigenschaften liefert, die Nachhaltigkeit und Raumluftqualität nach den höchsten Standards ermöglichen.

Monika Egger: „Altersbedingt kann es bei unseren Bewohnern auch zu Veränderungen in der visuellen Wahrnehmung kommen. Entsprechend lässt bei der Einrichtungsplanung unserer Häuser die Farbvielfalt des Bodenbelages eine vielgestaltige Kombination mit den anderen Oberflächen (Wände, Türen, Möbel) zu, die für den Bewohner ein harmonisches, aber auch modernes Wohnumfeld schaffen, in dem sie sich wohl und zu Hause fühlen. Dabei verwenden wir als Basis für den Boden ruhig wirkende Naturtöne aus der Gruppe der Erdfarben und greifen das Farbspektrum in der Einrichtung und Ausstattung mit belebenden Elementen zur Stimulation auf, wie in Fenstervorhängen. Angelehnt an Musterungen weicher Hölzer sind deren Oberflächen im Linoleum nachgebildet.“  

Doch es gibt noch andere Qualitäten, wie Ina Kühne ausführt: Die pflegeleichte hygienische Reinigung und auch geräuschgedämpfte Oberfläche sind nicht nur für die Bewohner wichtig, sondern ermöglichen auch dem Personal ein entspanntes Arbeiten. In der Summe wurde etwas entwickelt, das von den Bewohnern intuitiv verstanden wird und sich einer guten Nutzung erfreut. An der Frequentierung eines Raumes kann zudem seine Qualität abgelesen werden. 

Haptisches Erleben, thermische Kontraste
Taktile Qualitäten des Bodenbelags und standfeste Sitzmöbel, geben Halt und können verschoben werden. Sichere Stuhllehnen und geschwungene Formen laden zum Verweilen ein. Die Polsterung ist nicht zu weich und auf die Bedürfnisse älterer Menschen abgestimmt. (Fontiva Haus Katharina, Potsdam). Immer sind es aus der Natur gewonnene Materialien wie vor allem Holz und Stein, deren Oberflächen haptisches Erleben und thermische Kontraste bieten, die von Füßen und Händen meist unbewusst erfasst werden.

So auch kann ein Bodenbelag, der an eine Landhausdiele erinnert, und zu 94 % aus natürlichem Material wie Leinöl, Holz- und Korkmehl sowie Harzen gefertigt ist, fast schon als ein besonderes Holz empfunden werden. Die visuelle Anmutung und der feine Geruch von Leinöl beeinflussen den haptischen Eindruck. Hier wurde auf eine weitere Gliederung räumlicher Zonierungen verzichtet, der Eindruck einer großzügig, gut gestalteten Anordnung wird durch bodentiefe Fenster unterstrichen. Die floralen Muster der Vorhänge scheinen aus den Bodenvasen zu wuchern und sich den Weg in die Gartenanlage zu verschaffen.

Was in der Ausbildung der Architekten nach Peter Zumthor gilt, kann erlebt werden. Zumthor: „Ich bin nicht daran interessiert an der Perfektion von Zeichnungen, Plänen oder theoretischen Gedanken, sondern an der Körperlichkeit der Architektur, am Raum. Und mich interessiert es, einen Raum zu schaffen, in dem ich mich gerne aufhalte“. (Zumthor, Bilder befragen, Interview, Daidalos Themenheft: Konstruktion von Atmosphären, Nr. 68, 1998, S. 90). Hier finden sich Leitsätze der Architektur wieder, die es früh zu lernen gilt: „Achten Sie also auf Material bei Bau und Innengestaltung, denn alles was sie verwenden, erzählt die Geschichte der Entstehung und Alterung. Jeder Raum spiegelt die geistige Haltung seiner Schöpfer und deren Menschenbild. Kaum gründlich genug kann daher auf die Auswahl der Baustoffe und deren langfristige Eigenschaften geachtet werden“.

Material ändert sich
Harte Stein- und Holzböden weisen Lebensdauern von 40 Jahren und länger auf, während textile Bodenbeläge aus Nadelfilz, Sisal-Kokos zehn Jahre, Linoleum bis zu 20 Jahre in privaten Räumen haben. Werden Oberflächen bei der Frequentierung durch viele Personen stark beansprucht, wird deren Lebensdauer gemindert. Straßenschuhe mit harten Absätzen verletzen Material, weiche Schuhe und Barfußlaufen hingegen schonen es. Oberflächen geben Räumen eine visuelle, taktile und akustische Gestalt, die auf ihre Nutzung hin abgestimmt sein sollte. Menschen erzeugen durch Bewegungen, ob barfuß oder mit Schuhen wechselnde Geräuschpegel, die von Oberflächen und Volumen abhängig sind. Akustische Zonen bilden sich damit aus, die durch optische Kontraste oft klare Verläufe zeigen.  

Kaffee, Kakao und Milch
Haptische und visuelle Kontraste wurden zur Gestaltung verwendet. Holz, Stein und Teppichboden erzeugen farbliche Wechsel, die an jene von Kaffee, Kakao und Milch erinnern. Die unmittelbar anregende und warme Atmosphäre lädt zum Verweilen ein und dies im urbanen Umfeld jener Bankentürme und Hochhäuser, die das Frankfurter Viertel rund um die Taunusanlage und den Opernplatz unweit des Bahnhofs prägen. Der Gast wird mit dem Duft milder Kaffeearomen empfangen, die durch die Atmosphäre des Raums unterstrichen werden. Unbewusst erlebt der Besucher diesen gastlichen Raum, der sogar private Zonen anzubieten scheint. Fast wie ein abstraktes System von Straßen ist der Boden gestaltet.

Taktile Erfahrungen werden positiv erlebt
Wertvolle Stimulanzen leiten in allen Lebensphasen Impulse in unsere kognitiven Systeme. Daniel Liebermann (Harvard, Bosten) konnte in einer Studie belegen, dass bei Barfußjoggen geringere Belastungen auf den gesamten Bewegungsapparat wirken als beim Laufen mit dämmenden Sportschuhen. (Apotheken-Umschau, 19. 9.2020). Diese Erkenntnis kann auch auf das Wohnen übertragen werden. Taktile Erfahrungen werden positiv erlebt. Das Ertasten von Oberflächen entwickelt sich im Laufe des Lebens und gewinnt mit zunehmendem Alter an Bedeutung.

Tastleistungen sind im Unterschied zum Hören und Sehen sogar in den letzten Phasen des Lebens erstaunlich stark ausgebildet. Grund genug, haptische Qualitäten von Umgebungen älterer Menschen besondere Beachtung zu schenken und dabei verstärkt auf Oberflächen, deren Material und Farbgebung sowie deren Zusammenklang zu achten. Denn nur in der Summe ergibt sich ein räumlicher Eindruck, der unmittelbar auf den Körper wirkt und zunehmend intuitiv erlebt wird. Kommt es zu Störungen, kann dies auch auf Abweichungen zurückgeführt werden, deren Grade der Abstraktion von kognitiv eingeschränkten Menschen nicht mehr bewältigt werden können. Bieten multisensorisch attraktive Räume aber das Gefühl von Heimat, so wird deren vermeidliche Komplexität mittels Kognition als reduziert erfahren und die Umgebung positiv erlebt.

Die angeführten Beispiele aus Venedig, Potsdam und Frankfurt sollten Atmosphären vor Augen führen, die Teilbereiche täglicher Erfahrungen spiegeln und als Anregung künftiger Gestaltung von Innenräumen dienen können – zumal sich Orientierung und Mustererkennung im Verlauf unseres Lebens ändern. Lebensnotwendig sind wir auf tägliche Bewegungen angewiesen, die nur in gut gestalteten Räumen im Alter möglich sind. Atmosphären der Architektur wirken sich unmittelbar auf die Konditionierung aus. Dabei gilt es besonders, sensorisch wirksame Oberflächen und Materialien im Bereich des Altenwohnens für die Gestaltung zu verwenden, die ein natürlich stimulierendes Raumklima erzeugen.

Kontakt

Open Mainded Projektentwicklung AG

Frankfurter Str. 151 C
63303 Dreieich

+ 49 69 445543

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