Ein bis fünf Verdachtsfälle pro 100.000 Impfdosen
09.12.2021 - Als Studienleiter eines deutschlandweiten Forschungsprojekts zu Impfnebenwirkungen nimmt Prof. Dr. Stephan Schubert, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, zum Myokarditis-Risiko bei Kindern und Jugendlichen nach COVID-19-Impfung Stellung.
Herr Professor Schubert, eine befürchtete schwere Nebenwirkung bei jungen Menschen nach COVID-19-Impfung ist die Herzmuskelentzündung. Wie schätzen Sie das Risiko ein?
Prof. Dr. Stephan Schubert: Natürlich nehmen wir die Sorgen von Eltern ernst, die Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit des von der STIKO empfohlenen mRNA-Impfstoffs Comirnaty von Biontech/Pfizer haben. Grundsätzlich ist es ratsam, sich zu diesem Thema nicht von Schlagzeilen verunsichern zu lassen, sondern den Erkenntnissen des Paul-Ehrlich-Instituts zu folgen, das in Deutschland für die Impfstoffsicherheit zuständig ist. Derzeit gehen Wissenschaftler und Ärzte von weniger als fünf Fällen von Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen bei 100.000 Impfungen von 12- bis 17-Jährigen mit Fokus auf dem männlichen Geschlecht aus. Demgegenüber steht ein vielfach höheres Risiko, im Falle einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus eine solche Erkrankung zu erleiden. Die Rede ist hier von gesunden Kindern und Jugendlichen, für die eine Impfung einen nahezu 100-prozentigen Schutz vor einer schweren Form einer COVID-19-Erkrankung bietet. Bei einer Vorerkrankung ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Impfung sorgfältig abzuwägen und daher immer eine individuelle Entscheidung.
Wie äußert sich eine solche Herzmuskelentzündung und was macht sie so gefährlich?
Schubert: Die Herzmuskelentzündung oder Myokarditis tritt zwar selten auf, ist aber auch eine der häufigsten Ursachen für die akute/chronische Herzschwäche und Herzversagen im Kindesalter. Sie macht sich oft durch Rhythmusstörungen oder Schmerzen in der Brust bemerkbar, die Kinder fühlen sich deutlich in Ihrer Belastbarkeit oder Alltag eingeschränkt. Insgesamt ist ein Zusammenhang mit einer vorangegangenen COVID-19-Impfung nicht einfach herzustellen, weil die Herzschwäche auch als Folge einer anderen Viruserkrankung auftreten oder auch genetische Ursachen haben kann. Umso wichtiger ist es, zu dieser und anderen Fragestellungen systematische Forschung zu betreiben.
Bereits vor acht Jahren haben Sie ein nationales Register für Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf Myokarditis gegründet, das Daten inzwischen prospektiv von mehr als 550 Patienten gesammelt hat. Was ist das Ziel Ihrer aktuellen Studie über Impfnebenwirkungen nach einer COVID-19-Impfung?
Schubert: Zunächst geht es darum, möglichst genauere Daten solcher Verdachtsfälle zu sammeln, aus denen wir wichtige Erkenntnisse über die Diagnostik, Schweregrad und den Verlauf der Erkrankung gewinnen können. In Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut und derzeit 29 Kinderherzzentren und Kinderkliniken in Deutschland - darunter auch das HDZ NRW - werden betroffene Kinder und Jugendliche mindestens zwölf Monate lang nachuntersucht, um das mögliche Risiko einer schwerwiegenden Komplikation zu überwachen und künftig die Bedeutung besser einschätzen zu können. Das Bundesgesundheitsministerium finanziert diese prospektive Studie in den kommenden zwei Jahren.
Was raten Sie Eltern, die ihre Kinder aus Angst vor einer schweren Impfnebenwirkung nicht impfen lassen wollen?
Schubert: Nach realistischer Einschätzung ist die Gefahr, dass als Folge der COVID-19-Impfung eine Myokarditis auftritt, im Vergleich zu dem Risiko von schweren Folgeschäden, das man ohne Impfung im Falle einer Erkrankung eingehen würde, deutlich geringer. Zu bedenken ist:
• Auch durch die COVID-19-Infektion ist ja eine Herzmuskelentzündung möglich. Gerade jetzt nimmt die Zahl der COVID-19 erkrankten und stationär behandelten Kinder mit Symptomen zu.
• Der Schutz vor der COVID-19 Erkrankung durch die Impfung ist ausreichend belegt und überwiegt zum jetzigen Zeitpunkt das Risiko einer Impfnebenwirkung deutlich. Da aber vor allem Jungen betroffen sind, spielt auch das Geschlecht eine wichtige Rolle.
Wir wollen mit dieser Studie gerade beweisen, dass selbst wenn man diese Nebenwirkung erleben sollte, diese aber auch – laut internationalen Daten - in der großen Mehrheit der Fälle vollkommen ausheilt. Dazu muss man wissen, dass auch eine durch andere Viren verursachte Herzmuskelentzündung, je frühzeitiger sie erkannt und medizinisch versorgt wird, in aller Regel gut behandelt werden kann. Nur erbliche Faktoren können zusätzlich diesen Verlauf negativ beeinflussen, dieses lernen wir durch Einsatz der Genetik immer besser kennen.
Alle Patienten mit einer Herzmuskelentzündung sollten in jedem Falle in einem spezialisierten Kinderherzzentrum im Fachbereich für Kinderkardiologie diagnostiziert und mit betreut werden.
MYKKE-Register
Das MYKKE-Register ist das weltweit größte pädiatrische Register für Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Myokarditis. Es wurde 2013 von Prof. Dr. Stephan Schubert und Priv.-Doz. Dr. Daniel Messroghli am Deutschen Herzzentrum Berlin ins Leben gerufen. Aktuell beteiligen sich 29 Kinderherzzentren und Kinderkliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Register werden Daten zu Anamnese, Diagnostik, Therapie und Verlauf standardisiert erfasst. Als Infrastruktur für die Datenerfassung und Bereitstellung der Daten für die Forschung dient die im Nationalen Register für angeborene Herzfehler angesiedelte Forschungsplattform. Die Infrastruktur des MYKKE-Registers wird seit 2017 durch Spenden aus der Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren “Kinderherzen“ unterstützt.
Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen
Als Spezialklinik zur Behandlung von Herz-, Kreislauf- und Diabeteserkrankungen zählt das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ NRW), Bad Oeynhausen mit 35.000 Patienten pro Jahr, davon 14.600 in stationärer Behandlung, zu den größten und modernsten Zentren seiner Art in Europa.
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Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum - Herz- und Diabeteszentrum NRW Bad Oeynhausen
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