Medizin & Technik

Neues fetalchirurgisches Zentrum in der MüK Schwabing

18.03.2024 - Vor einem Jahr (Mai 2023) wurde in der München Klinik (MüK) Schwabing erstmals ein Kind noch im Mutterbauch mit einer neuen, schonenden Hybridtechnik operiert, die bislang weltweit von wenigen spezialisierten Zentren durchgeführt wird.

In der Schwangerschaft war ein „offener Rücken“ (Spina bifida) diagnostiziert worden, der etwa bei einem von 1000 Kindern bei der Geburt auftritt und möglichst früh, idealerweise vor der Geburt, operiert werden sollte. Die neue Hybridtechnik reduziert die Risiken eines pränatalen Eingriffs im Vergleich zu den etablierten Techniken deutlich und bietet betroffenen Kindern neue Chancen. Der erste Schwabinger Patient ist nun 6 Monate alt, zeigt gute Beinmotorik und beginnt gerade, sich rückwärts durch das Zimmer zu robben.

Korrigierender Eingriff sollte zwischen der 20. und 26. SSW erfolgen

Ein „offener Rücken“ ist eine angeborene Fehlbildung, meist in Höhe der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins, die durch einen fehlenden Verschluss von Rückenmark und den Wirbelbögen gekennzeichnet ist. Die Diagnose ist in der Schwangerschaft bereits früh im Ultraschall erkennbar und stellte die betroffenen Familien bislang vor ein Dilemma: Um fortschreitende Schädigungen des offenen Rückenmarks durch das Fruchtwasser zu vermeiden, muss die Fehbildung möglichst früh operiert werden, idealerweise im zweiten Trimester der Schwangerschaft. So können sekundäre Schäden des exponierten Rückenmarks vermieden werden und die neurologische Funktionen der Kinder verbessert werden. Auch ein Wasserkopf (Hydrozephalus), der in über 90 Prozent der Fälle mit dem offenen Rücken einhergeht, kann oftmals bereits während der Schwangerschaft ohne zusätzlichen chirurgischen Eingriff korrigiert werden. Die beiden bislang gängigen, pränatalen OP-Methoden sind jedoch beide mit einem hohen Risiko für einen Blasensprung und in der Folge für eine Frühgeburt verbunden. Bei der „offenen Technik“ wird die Gebärmutter invasiv eröffnet und mit konventionellen Techniken operiert. Bei der „perkutan-fetoskopischen Technik“ werden Röhren (Trokare) durch die Bauchdecke und die Gebärmutter eingebracht, durch die mit Instrumenten operiert wird – hier ist der Zugriff zum Fötus oft nur erschwert möglich, die Eingriffszeiten sind entsprechend lang. Die andere Option ist ein Eingriff nicht während der Schwangerschaft, sondern frühzeitig nach der Geburt. Hier sind die chirurgischen Risiken zwar deutlich reduziert, zu diesem Zeitpunkt die Schädigungen des Kindes aber womöglich stark vorangeschritten, im äußersten Fall bis hin zur Querschnittslähmung. Aufgrund dieser Limitierungen und Risiken ist die Rate der Schwangerschaftsabbrüche bei Diagnose „Spina bifida“ bislang sehr hoch.

Geringes Risiko, hohe Lebensqualität: So funktioniert die neue Hybrid-Technik

Als einzige Klinik in Süddeutschland, und eines von weltweit bislang nur wenigen Zentren, hat die MüK Schwabing nun eine neue, hybride OP-Methode während der Schwangerschaft etabliert und im vergangenen Jahr erstmals erfolgreich durchgeführt. „Die Methode reduziert die Risiken der bisherigen pränatalen Techniken deutlich und gibt Kindern mit „Spina bifida“ neue Chancen. Wenn das Kind auf die Welt kommt, hat es eine deutlich bessere neurologische Funktion – von der Beweglichkeit und Sensibilität der Beine bis hin zur Blasenfunktion – als es das Ausmaß des offenen Rückens bei der Diagnose erwarten ließe“, sagt Prof. Stuart Hosie, Chefarzt der Kinderchirurgie in der München Klinik Schwabing. Das Hybridverfahren wird idealerweise zwischen der 20. und 26. Schwangerschaftswoche durchgeführt, das ungeborene Kind wiegt zu dem Zeitpunkt zwischen 250 und 750 Gramm. Beim Verfahren wird zunächst die Gebärmutter operativ freigelegt und angehoben. Um sie vor Austrocknung zu schützen, wird die Gebärmutter während des Eingriffs mit einem feuchten Tuch umhüllt. Die Operation am narkotisierten Fötus erfolgt dann über eine minimalinvasive Technik. Durch minimale Einstiche in der Gebärmutter werden eine Videokamera und Instrumente im Durchmesser von 2 Millimetern eingeführt. Um die Sicht und den Arbeitsraum für die Operateur*innen zu verbessern, wird zuvor Fruchtwasser abgesaugt und Gas in die Fruchtblase gefüllt. Bei Bedarf wird das Kind über die Gebärmutter flexibel in die benötigte Position gedreht und im Anschluss das Rückenmark und die Nerven operativ Schicht für Schicht von der Haut getrennt. Abschließend können der Rückendefekt mit einem „Patch“ (Flicken) aus Kollagen, die Haut ebenfalls mit einem Flicken oder durch Naht, verschlossen, das Fruchtwasser wieder aufgefüllt und die Gebärmutter wieder in ihre ursprüngliche Position zurückverlagert werden. Mit einer kurzen Eingriffsdauer von etwa zwei Stunden ist das Risiko eines Blasensprungs oder einer operationsbedingten Frühgeburt sehr reduziert.

Das fetale Behandlungsteam ist in der MüK interdisziplinär und interprofessionell und umfasst Spezialist*innen aus der Kinderchirurgie, Kinderneurochirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Anästhesiologie, Kinderradiologie und Neonatologie. Das Schwabinger OP-Team kooperiert hier eng mit der Klinik für Neurochirurgie und pädiatrische Neurochirurgie in Schwabing und Bogenhausen unter Leitung von Chefarzt Prof. Jens Lehmberg. „Unser Ziel ist es, werdenden Eltern und ihren Kindern eine bestmögliche Versorgung zu bieten. Wir begleiten die Familien von der Erstdiagnose bis zur Nachsorge nach dem Eingriff. Erst das Zusammenspiel der verschiedenen Fachbereiche ermöglicht eine optimale Patient*innenversorgung im Sinne des bestmöglichen Resultats“, sagt Dr. Olaf Neumann, Chefarzt der Frauenklinik in der München Klinik Schwabing.

Neues fetalchirurgisches Zentrum wurde über Jahre intensiv vorbereitet

Mit der Erweiterung ihres operativen Spektrums um die Hybridtechnik bei „Spina bifida“ hat die MüK Schwabing ihr neues fetalchirurgisches Zentrum etabliert. Die fetalen Eingriffe wurden in einer zweijährigen Aufbauphase im Rahmen von Trainingskursen, Hospitationen und Fallkonferenzen intensiv vorbereitet und werden in Schwabing von einem hochspezialisierten Team durchgeführt. Basis für diese Expertise ist auch der internationale Austausch und die enge Kooperation mit führenden Referenzzentren. So war bei der ersten fetalen Hybrid-OP ein Spezialist aus dem Zentrum in Cincinnati (USA) zugegen, der die Methode maßgeblich mitentwickelt hat.

Mit Blick auf die nach wie vor hohe Abbruchrate von Schwangerschaften nach Diagnose „Spina bifida“ betonen die Mediziner: „Die neuen Möglichkeiten der Fetalchirurgie können hier eine echte Alternative darstellen.“ Auch die Eltern des ersten Schwabinger Patienten möchten diese Option bei betroffenen Familien bekannter machen. Ihr Junge kam im August 2023 in der 37. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 3220 Gramm auf die Welt. Er ist in Nachsorge wegen seines Hydrocephalus, hat aber nahezu keine körperlichen Beeinträchtigungen. „Seit Kurzem robbt er freudig rückwärts und versucht sich zu drehen“, berichten die Eltern stolz.

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