Gesundheitspolitik

Pathologische Krankenhausfinanzierung

21.05.2024 - Während Kliniken zu den systemrelevanten Institutionen zählen, die zugleich Indikatoren der Leistungsfähigkeit volkswirtschaftlicher Systeme sind, leiden diese seit Jahren unter chronischer Unterfinanzierung.

Zwar werden stets teils berechtigte Bedenken an der Professionalität und Produktivität der Klinikführung angemeldet, doch lässt der rigide Marktordnungsrahmen wenig Raum für genuin unternehmerische Entscheidungen mit Blick auf die strategische Portfolioausrichtung und innovative Angebotspolitik. Ein Hemmschuh der Kliniktransformation liegt neben der überformenden Gesundheitspolitik auch in den Kontrollorganen der Kliniken begründet, die oft nur den Parteilkolorit widerspiegeln.

Der Dreiklang aus Gesundheitspolitik, Ordnungsrahmen und Klinik-Governance führt auf der Managementebene nicht immer zu einer Bestenauslese, die sich bisweilen unkreativen Kliniksanierungskonzepten verschreibt. Trotz inflationärer Reformanstrengungen und politischer Interventionen gelang es nicht, mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen eine gesunde Finanzierungsbasis des Gesundheitssystems im Speziellen sowie der Sozial- und Rentensysteme im Allgemeinen zu garantieren. Die klaffende Finanzlücke vieler Kliniken lässt sich – abgesehen von eigenverursachten Managementfehlern – großteils auf Externalitäten zurückführen, die sich außerhalb ihres Einflussbereichs bewegen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um sechs Krisenverursacher.

Krisenarten und Disruptoren

Finanzkrise: Das Gesundheitswesen wurde mittelbar durch die Finanzkrise tangiert, weil diese den Bewegungsspielraum zur auskömmlichen Finanzierung der Kliniken reduziert hat. Die Rettung systemrelevanter Banken und Finanzinstitutionen überstrahlte auf der Politikagenda alle anderen Handlungsfelder, die zwangsläufig eine De-Priorisierung erfahren haben. Der Notfallpatient Finanz- und Bankenwesen wurde gegenüber dem chronische kranken Gesundheitswesen eine dringlichere Triagierung bei der Mitteldisposition zuteil.

Pandemiekrise: Wegen der akuten Notlage wurden Kliniken gezwungen, die Sicherstellung der Akutversorgung mit Corona-Intensivbetten zu priorisieren – einhergehend mit entsprechenden Opportunitätskosten bei der Versorgung elektiver Fälle und lukrativen Wahlleistungen. Die Kompensation der hohen Vorhaltekosten war in den meisten Fällen weder auskömmlich noch konnten diese die „Rüstkosten“ abdecken, die mit der Wiederaufnahme des Regelbetriebs in der post-pandemischen Phase entstanden. Zudem hinterließ die Pandemie bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen tiefe Spuren, die nur zum Höhepunkt der Pandemie „Heldenstatus“ genossen.

Energiekrise: Der tragische Russland-Ukraine-Krieg provozierte ökonomisch eine Versorgungskrise, die zu einer Inflation der Faktorkosten führte. Verbunden mit hoher Volatilität und Unsicherheit auf den Versorgungsmärkten, zu erwartenden Kostenanstiegen durch das Lieferkettengesetz sowie inflationsinduzierter Preisexplosion bei vielen Warengruppen stehen Kliniken vor der Herausforderung, die so entstandene Wertaufzehrung zu kompensieren. Zwar lassen sich durch versiertes Verhandlungsmanagement, interne Effizienzmaßnahmen und eine smarte Leistungspolitik Schadensbegrenzungen erreichen, doch auch nicht viel mehr.

Demographiekrise: Hierbei handelt es sich um ein prognostischeres Phänomen, das sich durch Migration in den Sozialsystemen verstärkte. Aus der idealtypischen Alterspyramide ist ein versorgungsintensiver Alterspilz geworden. Zwar mögen Renten und Versorgungsansprüche sicher sein, doch stellt sich die Frage nach der Niveaustufe. Soll auch künftig eine wirtschaftliche, ausreichende, angemessene und zweckmäßige Versorgung bei minimaler Rationierung erfolgen, dann müssen innovative Wege der Klinik- und Gesundheitsfinanzierung bestritten werden. Anstatt vermeidbare Krankheiten zu belohnen, sollten Gesundheit, Longevity und Selbstverantwortung gefördert werden.

Politikkrise: In den vergangenen Dekaden ist es der Politik aus Sicht der Kliniken in keiner Weise gelungen, einen konsistenten Ordnungsrahmen der Finanzierung, Investition und Innovation zu schaffen. So ist eine evidente Unterfinanzierung des Kliniksektors zu konstatieren, der zudem über die Notaufnahmen das ambulante Marktversagen als Überlaufbecken abfedern muss. Aktuelle Gesundheitsreformen führen zu einer Mittelumverteilung im Sinne einer „Digital vor Ambulant vor Stationär“-Doktrin, die eine Priorisierung großer Drehscheibenkliniken zum Gegenstand hat. Bei steigenden Fällen und Schweregraden sollen Kliniken konsolidiert werden, Gesundheitskioske entstehen und Grundversorger zu Portalkliniken degradiert werden. Solange aber die Anforderungen steigen und die Finanzierung stagniert, wird das System „auf Verschleiß gefahren“.

Innovationskrise: Während die grundsolide Bestandssicherung eine Seite der Medaille ist, repräsentiert die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Gesundheitswirtschaft die andere Seite. Aus einer strategischen Perspektive sollte die Gesundheitspolitik ein hohes Interesse einer innovationsstarken Gesundheitswirtschaft mit Blick auf die anstehenden KI- und MINT-Herausforderungen in der Medizin haben, deren Bewältigung nicht den USA, China oder anderen ambitionierten Nationen überlassen werden sollte. Die Gesundheitswirtschaft lässt sich nicht „zur Größe schrumpfen“, sondern bedarf jenseits der öffentlichen Alimentierung auch privatwirtschaftlicher Finanzierungs- und Geschäftsmodelle an der Nahtstelle von Wagniskapital, Kapitalmarktorientierung und Unternehmertum.

Die hier stilisiert diskutierten Krisen lassen vor allem im maroden Kliniksektor einen hohen Transformationsbedarf erkennen, der in der Zukunftsfinanzierung seine Zuspitzung erfährt. 

Wege aus der Unterfinanzierung

Das RRP-Prinzip steht für Rationierung, Rationalisierung und Priorisierung mit Ziel einer wert- und nutzenoptimalen Ressourcendisposition. Während Rationierungen bezüglich Menge, Qualität, Zeit oder Anspruchsgruppe als unpopulär gelten, lassen sich durch Rationalisierung und Priorisierung knappe Ressourcen mobilisieren und organisatorische Überschüsse abbauen. Im Gegensatz zu den Kostenträgern und ihren Agenten wie dem MDK haben besonders Kliniken in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben weitgehend gemacht, um „lean and smart“ zu werden.

Nachholbedarf besteht weniger in der Primärversorgung als vielmehr beim Dauerbrenner Lean Management und effiziente Unterstützungsprozesse. Verbunden mit der angedachten Drehscheibenversorgung über (digitale) Speichersysteme bis zum ambulanten Sektor sollen gleichermaßen Skalen- und Qualitätsvorteile durch Kompetenzspezialisierung erreicht werden. Die Maxime: „Nicht Jeder soll Alles machen, sondern nur Dasjenige, wofür er qualifiziert ist!“ Klinische Grenzanbieter sollen geschlossen, saniert oder verkauft werden, um durch Größe gut, sicher und effizient zu werden.

Doch stellt sich die Frage, wie künftig ländliche Räume versorgt werden sollen, in denen die ambulante Versorgung nur eingeschränkt funktioniert und damit die lokale Klinik zum Gesundheitskiosk mutiert. Digital unterstütze Hybridversorgungsmodelle im Spagat zwischen ambulanter und stationärer Versorgung könnten eine veritable Option darstellen. Die steigenden Fälle und Schwergrade werden sich kaum allein durch eine Konsolidierungs- und Konzentrationspolitik abfedern lassen. Vielmehr muss trotz aller RRP-Initiativen der Finanzierungsrahmen erweitert werden, um künftig das Versorgungsversprechen bei Gesundheitsdienstleistungen einhalten zu können.

Sondervermögen Gesundheitswesen: Anlog zur Aufrüstung der Bundeswehr ist ein Sondervermögen zur Aufrüstung des Kliniksektors zu fordern, um heute die künftigen Herausforderungen angehen zu können, die nach „Umbau statt Anbau“ verlangen. Wegen der desaströsen Finanzlage droht mit Blick auf die Demographie an dieser Stelle künftig sozialer Sprengstoff für den Fall rationierter Versorgungsleistungen britischer Provenienz. Analog zur Predictive-Maintenance-Philosophie eines strategisch vorsteuernden Infrastrukturmanagements profitiert der Kliniksektor ökonomisch weitaus mehr von Investments als einer „Abriebrendite“ durch Unterlassung erforderlicher Stabilisierungs- und Zukunftsmaßnahmen.

Regulierte Investorenmodelle: Hier wird für ein „Mut zum Unternehmertum“ plädiert, der unter „hoheitlicher Aufsicht“ den Wege für privatwirtschaftliche Investments ebnet. Nachhaltige agierende ESG-Investoren im Gesundheitswesen erkennen das Potenzial „eines schlafenden Riesen“, der mit Blick auf die steigende Nachfrage nach Dienstleistungen im ersten, zweiten und dritten Gesundheitsmarkt ausreichend Spielraum für innovative Geschäftsmodelle und die Mobilisierung latenter Leistungsreserven bietet.

Innovations- und Forschungsfonds: Der Gesundheitsstandort Deutschland ist die Funktion seiner Forschungs- und Innovationsleistung. Daher darf sie nicht zu einem Kostenfaktor marginalisiert werden. Gesundheitswesen und -wirtschaft sind im hier verstandenen Sinne nicht nur prestigeträchtige Visitenkarten, sondern Ausdruck einer Priorisierung systemrelevanter Schlüsselsektoren mit sachlogischer Nähe zur nationalen Sicherheit. Der sich anbahnende KI-Tsunami sollte nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Transformation einer Branche mit Potenzial und Power gesehen werden. Med-tech-, Health-tech- und Clinic-tech-Strategien sind die Vorboten einer neuen Normalität der patientenzentrierten Versorgung.

Bürokratieprofessionalität: Bürokratie, Regulierung und unternehmerische Gängelung entfalten besonders im Kliniksektor eine toxische Wirkung, die durch Überföderalismus verstärkt wird. Zu fordern ist ein holistischer Masterplan für das Gesundheitswesen - strategischer Handschrift. Dessen Herzstück muss der Bürokratieabbau auf der Makro-, Meso- und Mikroebene sein , um eine konsequente Umwidmung überbordender Verwaltungs-, Kontroll- und Regulierungsressourcen in Richtung patientenzentrierter Primärversorgung zu unterstützen.

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