Aus den Kliniken

Sinnesinformationen fließen weit früher zusammen als bisher angenommen

22.05.2024 - Bei Untersuchungen, wie die Informationen verschiedener Sinne im Gehirn kombiniert werden, entdeckte ein Forschungsteam aus Jena, London und München eine Region im sensorischen Kortex, die sowohl von visuellen als auch von Tastreizen aktiviert wird.

Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse belegen, dass Sinnesinformationen weit früher als bisher angenommen zusammen verarbeitet werden, und tragen so zum besseren Verständnis der Reizverarbeitung im Gehirn bei.

Um uns in uns in unserer Umwelt zu orientieren oder eine Situation zu beurteilen, nutzen wir alle unsere Sinne, und das gleichzeitig: Wir sehen, fühlen und riechen einen vollreifen Apfel, der beim Reinbeißen knackt und säuerlich-süß schmeckt. Dabei beziehen wir die meisten Informationen über das Sehen, und blenden diesen Sinn manchmal sogar gezielt aus, um uns auf einen anderen zu konzentrieren – beim Küssen mit geschlossenen Augen zum Beispiel.

Wie die Wahrnehmungen verschiedener Sinne im Gehirn zu einem Gesamteindruck miteinander verbunden werden, ist noch nicht vollständig verstanden. Bislang ging man davon aus, dass dies erst in einem relativ späten Stadium der Informationsverarbeitung passiert. „Wir hatten jedoch Hinweise, dass die Eindrücke eines Sinnes bereits an ihrer ersten Station in der Hirnrinde mit den Eindrücken anderer Sinne verschmolzen werden“, so Dr. Manuel Teichert. Der Neurobiologe vom Universitätsklinikum Jena interessiert sich insbesondere dafür, wie diese fusionierten Sinnesinformationen den führenden Sinn beeinflussen und welche Veränderungen im Gehirn vorgehen, wenn dieser Sinn kurz- oder langfristig ausfällt.

Gemeinsam mit einem Forschungsteam aus Jena, London und München untersuchte er deshalb die Kopplung von Seh- und Tastsinn bei Mäusen, letzterer wird bei den Tieren über die Tasthaare an der Schnauze vermittelt. Beide Sinne dienen vor allem der räumlichen Orientierung. Im Gegensatz zum Menschen spielt bei den Nagern das Sehen nur eine untergeordnete Rolle, Mäuse können nicht sehr gut sehen. In ihrem Lebensraum, engen dunklen Gängen, decken ihr Gesichtsfeld und die empfindlichen Tasthaare etwa denselben Bereich ab. Das Forschungsteam verfolgte mit modernsten mikroskopischen und elektrophysiologischen Techniken, wie und wo im Mäusehirn die von verschiedenen Sinnen stammenden Wahrnehmungen zusammenspielen.

„Die Tast- und Bildinformationen vom selben Ausschnitt der Umgebung führen auch im Gehirn in einem scharf abgegrenzten Areal zu Aktivität. Dabei entdeckten wir, dass ein Bereich der primären Sehrinde auch bei Tastreizen aktiviert wird. Bereits die primäre Verarbeitung findet also nicht isoliert statt“, nennt Johann Wutke ein Ergebnis. Der Medizinstudent war im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Forschungsprojekt beteiligt. „Erstaunlicherweise unterdrückt die Tastwahrnehmung die Aktivität der Sehverarbeitung für diesen scharfen Umweltausschnitt, die Sinne hängen also sehr eng zusammen in ihrer Funktion“, ergänzt Manuel Teichert.

Künftige Messreihen sollen hier noch weitere Details aufklären: Wie beeinflussen Tastwahrnehmungen einzelne Aspekte der optischen Information, wie Sehschärfe, Kontrastempfindlichkeit und Orientierungsvermögen. Wie ändert sich die Aktivität in den Hirnarealen, während und nachdem die Maus vorübergehend nichts sehen kann? Und welche strukturellen Veränderungen löst ein dauerhafter Sehverlust aus?

Manuel Teichert: „Wir wissen, dass Hör- und Tastsinn bei erblindeten Menschen oft deutlich sensibler werden. Mit unserer Grundlagenforschung zur multisensorischen Verarbeitung wollen wir zum Verständnis der zugrundeliegenden Umstrukturierungsprozesse im Gehirn beitragen, die ähnlich wahrscheinlich auch nach Lähmungen oder Schlaganfällen auftreten.“

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