Universitätsklinika in NRW schlagen Alarm
13.11.2014 -
Die Vorstände der Universitätsklinika in NRW sowie alle Dekane der angeschlossenen Medizinischen Fakultäten äußern sich besorgt: Es drohen zusätzliche Belastungen der Landeshaushalte.
Denn bei den NRW-Universitätsklinika in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster, die zusammen über 40.000 Mitarbeiter beschäftigen, entwickelt sich unter dem derzeitigen Finanzierungsrahmen ein dauerhaftes Defizit: Kostensteigerungen für Personal, Medikamente, medizintechnische Einrichtungen und Energie haben die Universitätsklinika und Fakultäten in den vergangenen Jahren enorm belastet. Denn diese Ausgaben steigen in jedem Jahr deutlich stärker als die von den Krankenkassen gezahlten Entgelte. Gleichzeitig kommen die Bundesländer ihrer Investitionsverpflichtung nicht mehr ausreichend nach. Die Mittel stagnieren seit Jahren und sind teilweise sogar rückläufig. Angesichts der zukünftigen Schuldenbremse wird sich diese Situation weiter verschärfen. Davon betroffen sind neben der Krankenversorgung auch die Zuschüsse für Forschung und Lehre. Zusätzlich werden die zahlreichen Sonderaufgaben der Hochschulmedizin im derzeitigen Fallpauschalensystem (DRG) nicht abgebildet. Angesichts immer geringerer finanzieller Spielräume können die Universitätsklinika die bestehende Investitionslücke nicht länger kompensieren. „Die Hochschulmedizin ist seit Jahren strukturell unterfinanziert, die Defizite einer veralteten Infrastruktur werden nicht aufgefangen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen die Standorte der Hochschulmedizin in NRW sowohl höhere Investitionsmittel als auch zusätzliche Mittel zur Finanzierung ihrer Sonderaufgaben", sagte Dr. Christoph Hoppenheit, Kaufmännischer Direktor des Universitätsklinikum Münster, bei der heutigen Landespressekonferenz. Gemeinsam mit Vertretern der anderen Universitätsklinika aus NRW fordert er eine aufgabenspezifische Finanzierung, damit die Universitätsklinika ihren spezifischen Aufgaben auch künftig gerecht werden können.
Die Finanzlage der Universitätsklinika in Deutschland und NRW offenbart eine strukturelle Schieflage in der Finanzierung der deutschen Hochschulmedizin. Universitätsklinika arbeiten unter den gleichen finanziellen Rahmenbedingungen wie alle übrigen Krankenhäuser, müssen gleichzeitig aber aufgrund von Extremkostenfällen, Hochschulambulanzen und Notfallversorgung sowie Innovationszentren und Lehre ein ganzes Bündel zusätzlicher Aufgaben und Herausforderungen schultern. Die Hochschulmedizin verbindet auf einzigartige Weise Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Universitätsklinika sind damit nicht nur große Arbeitgeber, sondern Motoren für zukünftige Versorgung und Forschung.
Die Liste zusätzlicher Aufgaben der Universitätsmedizin ist lang: Extremkostenfälle, Hochschulambulanzen und Notfallversorgung
Als Krankenhäuser der höchsten medizinischen Versorgungsstufe und durch ihren universitären Status übernehmen die Universitätsklinika Patienten mit besonders komplexen und schwer zu behandelnden oder seltenen Erkrankungen. Damit ist der Anteil an sehr teuren Behandlungen - den Extremkostenfällen - im Vergleich zu anderen Kliniken signifikant höher. Die hierbei zu erbringenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sind aufwendig und benötigen eine spezielle, kostenintensive Infrastruktur. Zudem erfordert die Versorgung Schwerstkranker eine enge Zusammenarbeit mehrerer Fachdisziplinen, z. B. verschiedener Spezialisten, und geht zumeist mit einer überdurchschnittlich langen Verweildauer einher. Die entsprechenden Zusatzkosten werden über eine normale, als Mittelwertkalkulation festgesetzte DRG-Fallpauschale jedoch oft nicht ausreichend abgebildet. Das Risiko, dass aufgrund solcher Fälle Defizite entstehen, ist bei den Universitätsklinika also überproportional hoch.
Das spezielle Aufgabenfeld der Hochschulmedizin spiegelt sich auch in interdisziplinären Zentren wider, die sich durch fächer- und krankheitsübergreifende Strukturen auszeichnen und die in anderen Krankenhäusern in dieser Form nicht vorhanden sind. So werden beispielsweise Patienten der Onkologie, Gefäßmedizin oder mit seltenen Erkrankungen aufgrund der besonderen Anforderungen bei der Diagnose und Therapie komplexer Krankheitsbilder in die universitätsmedizinischen Zentren überwiesen. Diese umfangreichen Leistungen und der damit verbundene Mehraufwand durch die Vorhaltekosten müssen jedoch durch spezielle Zentrumszuschläge finanziert werden, um ein Defizit zu verhindern.
Ein weiteres strukturelles Problem: Unabhängig von der Schwere der Erkrankung werden die Universitätsklinika zunehmend für die Notfallversorgung aufgesucht, die sie an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr mit Fachärzten aller Disziplinen vorhalten (müssen). Während sich immer mehr Krankenhäuser in den Nachtstunden und an Wochenenden von der Notfallversorgung abmelden, fahren Rettungsdienste und Notärzte Universitätsklinika als letzte Möglichkeit an. Um 4,1 Prozent wächst jährlich der Anteil der Notfallversorgung in Universitätsklinika, bei den übrigen Krankenhäusern sind es lediglich 1,8 Prozent. Die hohen Vorhaltekosten der universitären Notfallversorgung für Ausstattung und Personal müssen durch eine differenzierte Vergütung ausgeglichen werden. Derzeit erhalten Krankenhäuser nach Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin 30 Euro Vergütung pro Patient, die tatsächlichen Kosten liegen jedoch bei durchschnittlich 120 Euro.
Universitätsklinika als Innovationsmotoren in Forschung und Lehre
Neben der Krankenversorgung sorgt die Deutsche Hochschulmedizin vor allem für medizinischen Fortschritt. Medizinische Innovationen zu etablieren, ist jedoch mit mehrfachen organisatorischen und finanziellen Belastungen verbunden. Hierfür muss eine aufwendige medizinische Infrastruktur aufgebaut und vorgehalten werden. Neben dem ärztlichen und wissenschaftlichen Personal sind zusätzliche medizinische Fachkräfte zu schulen und zu beschäftigen. Doch solche Mischaufgabengebiete lassen sich nicht annähernd so effizient gestalten, wie die Krankenversorgung allein. Die Abstimmung im Aufgabenverbund zwischen Universitätsklinikum, Fakultät und Universität ist zeitaufwendig. Damit hat sie organisatorisch erhebliche Nachteile gegenüber Krankenhäusern, die sich überwiegend der stationären Krankenversorgung widmen können.
Auch die Facharztausbildung, wesentliche Grundlage der Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung in Deutschland, ist mit einem hohen finanziellen und organisatorischen Aufwand verbunden: Zum einen haben die Ärzte in Weiterbildung (AiW) bei weitem nicht die Produktivität wie erfahrene Fachärzte. So werden für die gleichen Leistungen oftmals mehr Ärzte benötigt. Dadurch fällt ein zusätzlicher direkter Personalaufwand an. Zusätzlich haben auch die erfahrenen Ober- und Fachärzte einen erheblichen Mehraufwand: Sie begleiten die Berufsanfänger bei der klinischen Arbeit, um unter anderem den vorgeschriebenen Facharztstandard in der Patientenversorgung zu gewährleisten. Der in den Universitätsklinika (642 AiW je Klinik) im Vergleich zu anderen, ähnlich großen Krankenhäusern (290 AiW je Haus) überdurchschnittliche Anteil von Ärzten in der Weiterbildung, verursacht einen hohen Koordinations- und Abstimmungsaufwand. Trotzdem nehmen die Universitätsklinika diese Verantwortung mit großem Engagement wahr. Die Einrichtung einer eigenen Weiterbildungsfinanzierung neben dem Fallpauschalensystem ist dringend erforderlich. Nur so kann der besondere Aufwand der Universitätsklinika in der Weiterbildung zum Facharzt vergütet werden.
Strukturelle Unterfinanzierung erreicht Schmerzgrenze: Investitionslücke nicht mehr zu kompensieren
Seit Jahren ist die Hochschulmedizin strukturell unterfinanziert - trotz ihrer herausragenden Bedeutung für die medizinische Versorgung in Deutschland. Da die Investitionen der Bundesländer kontinuierlich zurückgegangen sind, werden die Defizite einer veralteten Infrastruktur kaum noch aufgefangen. Mit drastischen Folgen: Veraltete, ineffiziente Anlagen bei der Energieversorgung sorgen für hohe Kosten, die Daten-Kommunikation und die Telemedizin sind nur in Teilen international wettbewerbsfähig, die Gebäudesanierung und -dämmung sind kaum auf dem Stand des ökologisch Erforderlichen. Die Universitätsklinika und Fakultäten unternehmen alles, um Krankenversorgung, Lehre und Forschung weiterhin nicht zu gefährden - und suchen nach Alternativen. So ist zwischen 2002 und 2011 ein Zuwachs an Drittmitteln aus nationalen und internationalen Unternehmen und Konzernen von 67 Prozent gelungen. Dennoch können die notwendigen Investitionen damit nicht annähernd gedeckt werden; der gute Ruf als attraktiver hochschulmedizinischer Standort ist für die deutsche Hochschulmedizin auf Dauer so nicht zu halten.
Es besteht akuter Handlungsbedarf: Eine wettbewerbsfähig ausgestattete Hochschulmedizin braucht mehr Investitionsmittel. Angesichts immer geringerer finanzieller Spielräume können die Universitätsklinika die bestehende Investitionslücke nicht länger kompensieren.