Alle Farben der Seele – die heilende Kraft der Kunst
15.10.2018 -
Farben spielen bei der Gestaltung von Räumen in Kliniken eine wichtige Rolle und können die Genesung fördern.
Der Fokus des Künstlers Yvelle Gabriel liegt auf Glaskonzeptionen und Glaskunst für neue Kapellen, Räume der Stille, Kliniken und Sterbehospize. Seit 2016 ist er zudem künstlerischer Berater für „Healing Supportive Design“ in der „Healing Architecture“ und entwickelt u.a. Kunstkonzeptionen im Innen- und Außenbereich von Funktional- und Sakralbauten.
M&K: Welche grundlegende Bedeutung haben für Sie als Künstler die Farben bei der Gestaltung von Klinikräumen?
Yvelle Gabriel: Farben dürfen konzeptionell ganz unterschiedlich in den einzelnen funktionalen Strukturen von Gesundbauten wirken: Im Eingangsbereich frisch und lebendig, auf den Stationen und Fluren als visuell ansprechende Orientierungshilfe, in den zwischenmenschlichen Wartebereichen heiter und aufmunternd - und in den Zimmern warm, tröstend und geborgen. In der Kapelle jedoch zutiefst berührend, die Seele positiv mit aller Kraft ergreifend und gleichsam heilsam bewegend. Um im Raum der Stille dagegen wesentlich meditativer, zurückgenommener wirken zu dürfen. Jeder Ort innerhalb einer Klinik sollte ganz bewusst mit all seinen Farb- und Formkonzeptionen auf den Menschen einwirken. Vor allem mit Hilfe eines wirklich ansprechenden Designs und einer sorgsam ausgesuchten, menschlich positiv berührenden Kunst.
Welche Konzeptionen haben Sie bereits umgesetzt? In welchen Farben und Themen sind diese entworfen?
Gabriel: Im neuen Caritaszentrum Mannheim - einem 20 Mio. € Bauprojekt - verband ich konzeptionell die Glaskunst der neuen Kapelle im Erdgeschoß mit dem Raum der Stille des Hospizes im oberen Stockwerk. Der sonst sehr funktionale vierstöckige Bau besitzt auf jeder Etage einfache, sehr anmutige Vollton-Wandflächen als Orientierungssystem in den Stationen, kombiniert mit heimatlichen Schwarz-Weiß-Fotografien. Die beiden sakralen Räume sind jedoch ganz bewusst in großen Glasflächen gestaltet. Insbesondere für die Kapelle konzipierte ich zwei ganz unterschiedliche sakrale Zonen: Zur rechten Hand präsentiert sich dem Betrachter gezielt eine vollkommen schlichte Klarheit und Ordnung, sowohl in der liturgischen Einrichtung als auch in den bewusst farblosen, kunsthandwerklichen Glasreliefen. Zur linken gestaltete ich jedoch einen überbordenden Farb- und Ornamentreichtum innerhalb des Kapellenraumes. Der Besucher hat somit die freie Wahl, sich je nach seelischem Bedarf der einen oder der anderen Seite zuzuwenden: Kontemplativ versunken oder vollkommen ergriffen.
Im Juni beendete ich gerade meine über sieben Jahre lange Arbeit an der Umsetzung der neuen Synagoge der größten Nah-Ost-Klinik, dem Sheba Medical Center in Israel. Ermöglicht wurde dieser kunstvoll einmalige sakrale Klinikbau durch Spenden. Für die sieben heiligen Tora-Rollen der einzelnen jüdischen Glaubensrichtungen und Spender konzipierte ich eine drei Meter hohe, schwebende Arche aus blauem Glas, die durch eine Lichtinstallation von innen heraus pulsiert. Die beiden über sieben Meter hohen Frontfenster sind Teil der sakralen Kunstinstallation und greifen die Themen „Genesis - Exodus - Heimat“ auf, der große Deckendiamant darüber malt mit dem grellen Licht der israelischen Mittagssonne sinnbildlich alle Farben der Schöpfung auf das heilige Lesepult darunter. Im Aufgang zur Frauenempore gibt es ein großes Wunschfenster, die 24 Türfenster gestaltete ich als Dozent gemeinsam mit den Kunststudenten der Bezalel Kunsthochschule. Millionen von Besuchern werden in der Synagoge jährlich erwartet, die für Ihre leidenden Angehörigen dort beten - als Hotspot der Heilung des größten Klinikums im Heiligen Land. Die größte Friedhofsgesellschaft von Israel hat mich daraufhin nun beauftragt, zehn überdimensionale Lichtsphären als mystische Kunstobjekte für den größten jüdischen Untergrundfriedhof der Welt zu gestalten.
Die kirchliche Stiftung des St. Josef Krankenhauses in Viernheim betreibt ab 1. Januar 2019 gegenüber ihrer Klinik einen großen, direkt daran angliederten Hospizbau. Inmitten der großzügigen Eingangshalle befindet sich der formschöne Rundbau der Erlöserkapelle auf Holzständerbauweise. Sie bildet sinnbildlich das spirituelle Herz des Hospizes. Die Ausrichtung der Kapelle liegt auf einer zutiefst berührenden Glaskunst, der Besucher soll sich ganz darin versenken dürfen. Ich widme mein fast 4 Meter hohes sakrales Triptychon „Kosmischer Christus“ dem zutiefst inspirierenden Lebenswerk von Pierre Teilhard de Chardin, der in diesem Jahr von Papst Franziskus offiziell rehabilitiert wird. Meine künstlerische Konzeption ist für eine katholische palliative Klinik-Kapelle wegweisend. Ebenso setzt die unglaublich aufwändige, kunsthandwerkliche Perfektion der fotorealistischen Ätzungen sowie der Glasmalerei meiner Derix-Glaswerkstätten ganz neue Zeichen.
Welche Farbräume empfehlen Sie für die Gestaltung von Kliniken?
Gabriel: Warme Farben vermitteln Geborgenheit und Genesung. Vor allem Naturtöne, wesentlich im warmgelben Farbraum. Natürlich Herbstfarben, warme Rottöne, Lavendel, Flieder und sanftes Grün an den Wänden. Dazwischen überall harmonisch berührende Kunstakzente. Ein jeder Architekt und Farbgestalter sollte sich mitsamt der Geschäftsleitung und dem Bauherren die Frage stellen: „Will ich persönlich viele Wochen als Patient in meinen eigenen Umsetzungen liegen? Möchte ich dort meine eigene Mutter wirklich unterbringen? Jede Farbe wirkt auf unsere Rezeptoren, wird in uns verarbeitet, berührt unmittelbar unser seelisches Empfinden. Jede noch so dünne Farbschicht auf Beton und Regips hat Ihre wunderbare Wirkung auf uns. Das darf noch wesentlich klarer verstanden, erkannt und gezielt im Klinikbau angewandt werden. Aktuelle Untersuchungen und Studien zur Wirkung von Farben, Formen und Materialien auf den Menschen zeigen endlich neue Wege auf, Farbenhersteller reagieren mit ganz neuen Farbsystemen. Vermeiden sollte man auf jeden Fall „Schmerzkunst“ in den Kliniken. Ich sehe oft noch „Moderne Kunst“ ohne jegliche Harmonie, verstörend und negativ aufwühlend für den Betrachter, die für mich persönlich eigentlich das Leid und den Schmerz von Patienten und Angehörigen nur noch weiter verstärken. Meist sind auch die Wettbewerbsergebnisse der Kunstkommissionen „Kunst am Bau“ noch sehr weit von einer heilenden Intention für die Patienten entfernt. Oft werden dabei hohe Beträge für ein einziges egozentrisches Kunstwerk ausgegeben, die wiederum vielen kleineren Umsetzungen im heilsamen Innendesign fehlen. Die Wahrnehmungen der Kunstkommissionen erscheinen mir dabei meist von sämtlichen Leitbildern der Klinik abgekoppelt.
Was wünschen Sie sich in Zukunft für die Gestaltung einer Klinik?
Gabriel: Als mein Vater auf der Intensivstation lag, war ich dankbar, in einer kleinen kunstvollen Kapelle einfach ganz für mich ergriffen als Sohn und vor allem Mann zu weinen. Loszulassen, gleichsam Kraft zu erhalten, um wieder auf die Station gehen zu können. Wir benötigen mehr solcher Krafträume. Aber der Bezug zu unserem Glauben ändert sich gerade in unserer Gesellschaft, Kirchen werden profaniert und abgerissen. Wir brauchen jedoch ganz neue Räume der Spiritualität, losgelöst von aller Konfession. Aber nicht nur weiß und karg in Beton. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen einem Raum der Stille und der Aufgabe einer Kapelle: es braucht beides in den Kliniken an Angeboten: Rückzug in sanften Räumen - aber auch umso mehr kompromisslos ergreifende, berührend-heilige Räume. Vor allem mit der einzigartigen Kraft innovativer Glaskunst.
Zur Person
Im Dezember 2000 beendete Gabriel seine Laufbahn als geschäftsführender Gesellschafter und leitender Senior Art Director einer deutschen Werbeagentur, um sich gezielt den Bildenden Künsten zu widmen. Seit 2012 liegt sein Fokus nunmehr auf Glaskonzeptionen und Glasdesign für neue Kapellen, meditative Räume, Kliniken und Hospize. Gabriel lebt aktuell mit seiner Familie in einer alten Hofreite an der Lahn und pendelt zwischen seinen partnerschaftlichen Glaswerkstätten sowie Ateliers in Taunusstein, Ramla/Israel und Mainz.
Kontakt
Studio Gabriel -
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