Roboterassistenz im OP - Die Zukunft der Chirurgie schon heute
27.06.2022 - OP-Robotik hat dem Chirurgen und dem Patienten zu dienen – und auch dem Krankenhaus
Vor allem nach der Operation wird der Mehrwert der roboterassistierten Chirurgie sichtbar. So die Erfahrung des Chemnitzer Chirurgenteams um Prof. Lutz Mirow. Die Operationsergebnisse sind von hoher Qualität und entsprechen damit mindestens dem Niveau des konventionellen laparoskopischen oder thorakoskopischer Eingriffs. Verstärkt aber rücken zusätzliche Anforderungen in den Leistungskatalog der Chirurgie: das minimierte Operationstrauma, die beschleunigte Rekonvaleszenz und die verkürzte Krankenhausverweildauer. Moderne Robotik-Systeme können die Chirurgen ganz wesentlich dabei unterstützen, diese Ziele zu erreichen. Darum wächst deren Stellenwert international seit Jahren, vor allem für urologischen, allgemein- und viszeralchirurgischen sowie bei gynäkologischen Eingriffen.
Entscheidend für die Beschleunigung der Rekonvaleszenz ist es, relevante anatomische Strukturen weitgehend zu schonen und den Blutverlust zu reduzieren.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor dabei ist die ergonomische Gestaltung des Robotersystems. Die Entwickler bei CMR Surgical haben hierauf ihr besonderes Augenmerk gelegt und den Versius so konzipiert, dass er die körperliche Belastung und Ermüdung der Chirurgen erheblich reduziert und somit das Potenzial hat, die berufliche Laufbahn zu verlängern.
Das Erste Chemnitzer Robotik-Symposium
Der Versius wird bereits in über 30 Zentren in 12 Ländern angewandt. Seine deutsche Premiere hatte er am Klinikum Chemnitz. Dieses Klinikum war auch der Gastgeber für das Erste Chemnitzer Robotik-Symposium, auf dem Experten aus Deutschland und Großbritannien den teilnehmenden Chirurgen einen Überblick über aktuelle Entwicklungen der robotisch assistierten Thorax- und Viszeralchirurgie boten.
Prof. Dr. Lutz Mirow, Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie, und sein Team vom Klinikum Chemnitz nehmen mit dem Versius u.a. Kolon-, Rektum- und Pankreasresektionen vor. „Wir schätzen die deutlichen Vorteile, die uns der Versius für unsere Chirurgie bietet“, begründete Prof. Mirow die Entscheidung für den Versius. Ganz in diesem Sinne unterstrich der Chirurg und Robotikspezialist Henry Tilney vomFrimley Health NHS Foundation Trust, United Kingdom: Die robotischen Assistenzsysteme sind nach wie vor "im Wesentlichen Master-and-Slave-Geräte". Der Roboter entlastet das OP-Team, er ersetzt es nicht.
Auf dem Weg zur „Demokratisierung der Robotik“
Der schonende Effekt robotischer Assistenzsysteme steht für Henry Tilney außer Zweifel. Die Miniaturisierung des Instrumentariums verschafft ein größeres Maß an Beweglichkeit im Bauchraum und ist – für diesen Zweck – selbst einem filigranen „Instrument“ wie der menschlichen Hand überlegen. Es versetzt den Chirurg in die Lage, mit einem Höchstmaß an Präzision zu steuern und zu operieren. Kritische Strukturen können so wesentlich besser geschont werden.
Tilney war bereits in einem frühen Stadium in die Entwicklung des Versius eingebunden. Als erfahrener Chirurg wollte er die Robotik so fortentwickeln, dass sie unkompliziert einsetzbar ist: in jedem geeigneten Krankenhaus, für jeden geeigneten Patienten rund um den Globus. Er bezeichnet diesen Weg als „Demokratisierung der Robotik“.
Einen Kostenvorteil betont auch Dr. Sven Seifert, Leiter der Klinik für Thorax-, Gefäß- und endovaskuläre Chirurgie am Klinikum Chemnitz, der die europaweit ersten thoraxchirurgischen Eingriffe mit dem Versius bei Lungenkrebs-Patienten vorgenommen hat: „Der Vorteil des Versius-Systems ist, dass alle handelsüblichen Zusatzinstrumente wie Stapler, Clipsetzer, Elektrosurgery oder Bergebeutel verwendet werden können.“ Das mache die Prozedur um ein Vielfaches preiswerter. Darüber hinaus schätzt Seifert die flexible Anwendbarkeit des Systems, die hervorragende dreidimensionale Sicht auf das Operationsfeld und die gute Kommunikation mit dem OP-Team von der offenen Steuerungskonsole aus.
CMR Surgical bietet mit dem Versius ein Robotersystem mit geringem Raumbedarf, das das Krankenhausbudget nicht überlastet und flexibel für verschiedene chirurgische Bereiche einsetzbar ist. Denn bislang verfügen selbst in entwickelten Industrieländern wie Deutschland viele Krankenhäuser nicht über die Ressourcen, chirurgische Robotersysteme für minimal-invasive Operationen in die Versorgung einzubinden.
Das modulare System arbeitet mit bis zu drei Instrumentenarmen und einem Kameraarm. Sie bilden separate Funktionseinheiten und können ganz nach Bedarf flexibel um den OP-Tisch platziert werden. So lässt sich das System innerhalb des OP-Saals oder zwischen Abteilungen auch leicht transportieren.
Der Operateur steuert die Instrumentenarme stehend oder sitzend von einer offenen, ergonomisch gestalteten Konsole aus. Dies ermöglicht ein entspanntes Arbeiten sowie die direkte Kommunikation mit dem OP-Team. Der hochauflösende Monitor bietet in Kombination mit einer 3D-Brille ein detailreiches, vergrößertes und dreidimensionales endoskopisches Bild des Operationssitus, weitere Monitore ermöglichen dem OP-Team und Assistenten jederzeit, die Prozedur zu verfolgen.
Operationsrobotik – Technologie zur Selbstkontrolle und Optimierung
Eine weitere Chance robotischer Assistenzsysteme liegt darin, Videos während der Operationen aufzunehmen und mit anderen Experten zu teilen. Diesen Aspekt betonte Joel Dunning, Thoraxchirurg am James Cook University Hospital in Middlesborough. In seinem Vortrag auf dem Chemnitzer Robotik-Symposium wies er auf einen zusätzlichen Einsatzbereich der Assistenzsysteme hin: Verfügbar auf chirurgischen Plattformen könnten die Videos zur Fortbildung und zur Bewertung von Eingriffen genutzt werden. Chirurgen könnten ihren Eingriff ex-post analysieren, es durch KI oder durch Experten bewerten lassen und es so optimieren. Auch für randomisierte Studien könnten entsprechende Benchmarking-Portale ein Gewinn sein. Laut Dunning arbeiteten alle Anbieter an technischen Lösungen zur Videodokumentation von Eingriffen. Letztlich aber geht es immer zuerst um den aktuellen Eingriff, in den Kollegen mit unterschiedlichem Wissen ortsunabhängig und in Echtzeit eingebunden werden können.
Das Robotik-Symposium in Chemnitz war für den 2014 gegründeten Robotik-Hersteller CMR aus Cambridge ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer immer intensiveren Abstimmung mit Chirurgen und Krankenhauspartnern. Ziel ist, die robotergestützte minimalinvasive Chirurgie universell zugänglich und erschwinglich zu machen – und das nicht nur in der stationären Versorgung. Tatsächlich hat in Hessen bereits eine erste chirurgische Praxis einen Versius in Dienst gestellt.