Medizin & Technik

„Als wenn man eine Brille aufsetzt“

26.01.2023 - „Die Kombination aus UHR und KI bringt uns auf ein neues diagnostisches Level“, fassen Prof. Dr. Marc Brockmann und Prof. Dr. Ahmed Othman zusammen.

Seit gut einem Jahr steht an der Klinik und Poliklinik für Neuroradiologie der Universität Mainz der deutschlandweit erste Ultra-High-Resolution-CT (UHR-CT). Während sich die CT-Technologie in den letzten 30 Jahren hauptsächlich hinsichtlich der Vergrößerung der Abdeckung, der Erhöhung der Rotationsgeschwindigkeit und der Reduktion der Röntgendosis weiterentwickelt hat, setzt dieses neue Gerät einen völlig neuen Maßstab.

Kleinste Unterschiede besser wahrnehmbar

Der Aquilion Precision von Canon Medical bietet eine bisher einzigartige räumliche Auflösung von bis zu 150 μm und eine Rekonstruktionsmatrix von bis zu 2.048 x 2.048 Bildpunkten. Der Detektor wurde dafür grundlegend weiterentwickelt. Die neuen miniatursierten Detektorelemente von nur noch 0,25 mm Kantenlänge sind die Basis für die neue Bildgebung. „Macht man sich klar, dass verfügbare Detektoren bisher bei zwischen 0,5 mm und 0,625 mm lagen, ist es wirklich großartig, dass Canon Medical es jetzt geschafft hat, die Detektorelemente auf 0,25 mm zu minimieren“, sagt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Neuroradiologie, Prof. Dr. Marc Brockmann.

„Der Effekt ist eine sehr viel höhere Auflösung, wir können deutlich schärfere Bilder generieren und auch kleinste Unterschiede deutlich besser wahrnehmen.“ Zudem wurde für den neuen 320-Schicht-CT Aquilion Precision eine vollständig neue Röntgenröhre entwickelt. „Wenn ein neuer Detektor entwickelt wird, ist auch eine neue Röhre sinnvoll“, sagt Brockmann. Hatte die bisher verwendete Röntgenröhre durchschnittlich einen kleinen Brennfleck von 0,9 mm x 0,8 mm, ließ sich dieser nun signifikant auf bis zu 0,4 mm x 0,5 mm reduzieren. „Statt mit einem großen Röntgenstrahl zielt der CT mit einem kleinen, feinen Röntgenstrahl auf kleinste Detektorelemente.“

Die Röntgenröhre lässt sich adaptiv und voll-automatisch, mit sechs verschiedenen Brennfleckgrößen auf alle klinischen Fragestellungen präzise und flexibel anpassen. Je nach klinischem Anwendungsgebiet sind die Elemente entweder als 0,25 mm x 0,2 mm, als 0,5 mm x 0,5 mm oder als 1 mm x 1 mm nutzbar. „Die Kombination aus kleinstem Brennfleck einer Röntgenröhre und kleinsten Detektorelementen ist in der CT-Entwicklung weltweit einmalig“, fasst Prof. Dr. Brockmann zusammen.

Der neue UHR-CT war in der Klinik und Poliklinik für Neuroradiologie der Universität Mainz unmittelbar nach der Installation für den klinischen Einsatz bereit. Die Eingewöhnungsphase gestaltete sich unkompliziert. „Seit einer kurzen Lernphase scannen wir jetzt in der Neuroradiologie nur noch mit diesem UHR-CT“, sagt Prof. Dr. Brockmanns Kollege Prof. Dr. Ahmed Othman. Der Fokus liegt hier auf allen Fragestellungen der Neuroradiologie, in der Bildgebung von Schädel, Knochen, Wirbelsäule sowie bei Angiographien für den neuroradiologischen Bereich.

„Unsere Motivation war, zu überlegen, welches CT-System uns den technischen Mehrwert bieten kann, den wir, als hochspezialisierte Abteilung, für spezielle klinische Fragestellungen suchen“, sagt Othman. Da bot sich der Aquilion Precision auf besondere Weise an. „Die intrakranielle Gefäßdarstellung ist z.B. um Längen besser als mit herkömmlichen Systemen.“ „So ermöglicht die besonders hohe Auflösung im Bereich der CT-Angiographie mit iterativer Technik scharf abgrenzbare Gefäße, die wir mit einer sehr guten Auflösung bis weit in die Peripherie verfolgen können“, sagt Prof. Dr. Brockmann. „Es lassen sich zum Beispiel sogar Perforatorgefäße und lentikulostriäre Arterien, samt ihrer Ursprünge aus den großen Gefäßen heraus, sehen“, ergänzt Prof. Dr. Othman. „Diese Strukturen kenne ich aus Lehrbüchern – nun kann ich sie auf den Bildern in einer Klarheit sehen, die mich schon sehr überrascht.“

Doch nicht nur kleinste Strukturen wie periphere Gefäße lassen sich gut darstellen. „Die sehr hohe Auflösung macht sich darüber hinaus beispielsweise auch bei Aneurysmen im Gehirn bemerkbar“, sagt Prof. Dr. Othman. „Bei kleinsten Aneurysmen haben wir bisher immer eine digitale Subtraktionsangiographie (DSA) durchgeführt.“ Eine interne Studie habe nun bereits gezeigt, dass der UHR-CT eine mit der DSA vergleichbare diagnostische Genauigkeit zeigt und diese potentiell, in geeigneten Fällen, ersetzen kann. Der UHR-CT macht im Vergleich zum alten Workflow deutlich mehr, vor allem minimale Aneurysmen sichtbar. „Wir können mit dem UHR-CT nicht nur kleinste Strukturen erkennen, sondern auch wirklich Pathologien detektieren, die wir bisher gar nicht sehen konnten“, fasst Prof. Dr. Othman zusammen. „Das ist ein wichtiger klinischer Mehrwert.“

Zusätzlich profitiere man von den neuen KI-basierten Rekonstruktionsalgorithmen und der Metallartefaktreduktion, z.B. bei Implantaten im Gesichts- und Kopfbereich, wie Zähnen oder Coils bei Aneurysmen. „Die hohe Auflösung macht sich zum Beispiel auch bei der Wirbelsäule extrem gut. Hier lassen sich subtile Veränderungen an den Knochen sehen“, sagt Prof. Dr. Othman. Auch sind die Neuroradiologen von der präzisen Darstellung kleinster knöcherner Strukturen im Mittel- und Innenohr begeistert. „Durch die sehr hohe Auflösung können wir bei Felsenbeinuntersuchungen z.B. kleinste Kanäle für wichtige Nervenverläufe erkennen“, sagt Prof. Dr. Othman.

„Der Stapes im Mittelohr ist bei Aufnahmen vom Felsenbein in Sachen Auflösung ein absoluter Qualitätsparameter“, ergänzt Prof. Dr. Brockmann. Der neue UHR-CT arbeitet mit allen innovativen Technologien der modernen Dosisreduktion. Sowohl die mA-Modulation wie auch die automatische Wahl der kV und die Kontrastmittelmenge werden von der Software intuitiv voreingestellt. Im Vergleich zu anderen Systemen lassen sich mit dem UHR-CT deutlich schärfere Kontraste darstellen. „Gleichzeitig ist die Strahlendosis niedrig“, freut sich Prof. Dr. Brockmann. „Trotz besserer Bildqualität lässt sich so im Vergleich zum Vorgängermodell auch die Dosis nochmals deutlich senken.“

Reduziertes Rauschen und natürlicher Bildeindruck

Neben diesen Innovationen bezüglich der Hardware bietet der neue CT auch relevante Veränderungen der Software, so beispielsweise bei der Bildrekonstruktion. Seit 2011 gibt es die iterative Bildkonstruktion (AIDR 3D); 2015 kam die modellbasierte Rekonstruktion (FIRST) dazu. „Wir haben bisher mit den neuen Rekonstruktionsalgorithmen sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Prof. Dr. Brockmann. „Die zunehmende Schärfe des Kontrasts, die sich beobachten lässt, wenn wir den UHR-CT beispielsweise mit der Deep-Learning-Rekonstruktion „AiCE“ einsetzen, ist eine nochmalige signifikante Verbesserung.“ Verlaufskontrollen von sechs Patienten, die einmal mit dem Toshiba Aquilion 32 und einmal mit dem neuen Canon UHR-CT Aquilion Precision untersucht worden waren, zeigten deutlich: Die „Contrast-to-Noise-Ratio“ (CNR) im Muskelgewebe und die CNR im Muskel- und Fettgewebe nahmen signifikant zu. Die Dosis nahm hingegen ab.

„Die neuen Algorithmen machen die Bilder schärfer, reduzieren das Rauschen und kreieren einen natürlichen Bildeindruck“, sagt auch Prof. Dr. Othman. Manche Methoden anderer Hersteller würden die Bilder hingegen derart glätten, dass ein sehr künstlicher Bildeindruck entsteht, mit dem sich schwer arbeiten lässt. „Das ist hier nicht der Fall, wir sehen vielmehr eine schöne Kantenanhebung“, attestiert Prof. Dr. Othman, „und trotz der eingesetzten moderaten Dosis einen natürlichen Bildeindruck.“

Seit 2019 bietet Canon Medical mit der neuen Deep-Learning-Rekonstruktion AiCE zudem eine KI-Technologie, die bereits heute in der Praxis eingesetzt werden kann. „Damit erreicht der neue CT sowohl von der Schärfe als auch der Homogenität her noch einmal eine deutliche Steigerung“, sagt Neuroradiologe Prof. Dr. Brockmann. Beim Deep-Learning-Trainingsprozess wurden CT-Daten im Canon Werk in Japan mittels modellbasiert iterativer Rekonstruktion über Stunden und teils Tage rekonstruiert, bis sich ein perfektes Bild ergab. Der Trainingsprozess lernt dabei den Zusammenhang zwischen dem Standard bis zum perfekten Bild. Vor Ort, in der Klinik, wird dann der Algorithmus eingesetzt. Es erfolgt also die Anwendung des neuronalen Netzes, um die Bilder aus der klinischen Routine optimiert zu rekonstruieren. „Wenn ein Netzwerk gut auf den Zusammenhang von sehr guten und normalen Bildern trainiert ist, wenn die Rekonstruktion somit Rauschen erkennt, so kann das Rauschen bei gleichzeitiger Dosisreduktion signifikant reduziert werden – und Pathologien können so noch schärfer abgegrenzt werden“, sagt Prof. Dr. Othman. „Wir nutzen die Deep-Learning-Rekonstruktion AiCE z.B. bei Halsuntersuchungen oder arbeiten damit in verschiedenen Forschungsprojekten mit Canon in Japan.“

Der UHR-CT mit 320 Schichten bietet zudem eine völlig neue Rekonstruktionstechnologie: „Die Standardmatrix ist die 512 x 512er Matrix, eine etablierte Matrix, insbesondere für die nativen Schädel-CT-Untersuchungen“, sagt Prof. Dr. Othman. „Die hochauflösendere 1.024 x 1.024er Matrix führt ebenso wie die ultrahochauflösende 2.048 x 2.028er Matrix zu einer nochmals deutlich verbesserten Detailauflösung.“ Alle diese Größen sind für die modellbasierte iterative Rekonstruktion (AIDR 3D) verfügbar. Die Deep-Learning-Rekonstruktion AiCE arbeitet mit der 1.024er Matrix, „und das ist auch sehr sinnvoll“, sagt Prof. Dr. Brockmann. Denn von der 512er Matrix auf die 1.024er Matrix kommt es bereits zu einer Verachtfachung des Datenvolumens. „Bei uns ist der Mehrgewinn von der 512er auf die 1.024er Matrix aufgrund der schnellen Rekonstruktion derzeit noch etwas höher als der Schritt von der 1.024er auf die 2.048er“, sagt Prof. Dr. Othman. „Wir streben aber an, auch die 2.048er Rekonstruktionsmatrix bald klinisch zu etablieren. Zusammenfassend freuen sich die Mainzer Neuroradiologen über schärfere Bilder in extrem hoher Auflösung durch die Ultra-High-Resolution-Bildgebungskette, in Kombination mit der optimierten Rekonstruktionsmatrix und dem KI-basierten Deep-Learning-Rekonstruktionsalgorithmus, bei deutlich reduzierter Dosis.

„Das alles führt zu einer deutlich höheren diagnostischen Sicherheit und einem klinisch relevanten Mehrwert“, resümieren Prof. Dr. Brockmann und Prof. Dr. Othman. „Mit dem UHR-CT können wir nun tatsächlich Befunde erheben, die so vorher nicht möglich waren – es ist, als wenn man eine Brille aufsetzt.“

Quelle:
Canon Visions Magazin, Dez. 2022

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