Hygiene

Klimawandel und Altersmedizin in der Wundbehandlung

21.08.2024 - Wundheilungsstörungen sind ein weit verbreitetes Problem in unserer Gesellschaft. Sie betreffen Menschen jeden Alters.

Beim 07. Nürnberger Wundkongress vom 5. bis 6. Dezember 2024 werden sich Experten über die neuesten Entwicklungen in der Wundversorgung austauschen. Tagungspräsident Prof. Dr. Markus Gosch spricht im Interview über seine thematischen Highlights und die Notwendigkeit einer besseren geriatrischen Versorgung.

M&K: Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt laut Statistischem Bundesamt bis 2055 auf 37 Prozent. Als amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) beschäftigen Sie sich besonders mit der Förderung von Forschungsvorhaben im Bereich der Altersmedizin. Wie kann eine spezialisierte Wundversorgung in der Geriatrie sichergestellt werden?

Prof. Dr. Markus Gosch: Chronische Wunden bei älteren Patienten sind ja häufig die Folge einer bestehenden Multimorbidität. Die Betreuung sollte somit immer den ganzen Menschen erfassen und interdisziplinär erfolgen. Den Fokus allein auf die Wunde zu legen, ist zu wenig. Eine gute Behandlung der bestehenden Grunderkrankungen und auch eine begleitende Krankengymnastik kann wesentlich zur Wundheilung
beitragen.

Welche altersbedingten Veränderungen beeinflussen die Wundheilung am stärksten?

Gosch: Der Einfluss des Alters auf die Wundheilung ist vielfältig. Teils kommt es zu physiologischen Veränderungen, teils sind diese Folge einer bestehenden Grunderkrankung. Wesentliche Veränderungen betreffen das Immunsystem und damit die Keimflora, die Durchblutung und auch neuronale Veränderungen.

Welche neuen Therapieansätze und Technologien sind für die Wundversorgung in der Geriatrie denkbar?

Gosch: Künstliche Intelligenz und Robotik wird auch in der Wundversorgung zukünftig eine Rolle spielen. Allein die Dokumentation und Vermessung von Wunden und damit auch eines Heilungsverlaufes stellen im Alltag eine Herausforderung dar. KI kann aber sicher noch mehr unterstützen. Kameras mit Tiefensensoren könnten in der Diagnose eine wichtige Rolle übernehmen. Die KI könnte auch einen angepassten Therapievorschlag erarbeiten und das erforderliche Material gleich bestellen. Auch die Telemedizin wird sicher an Bedeutung gewinnen. So kann man Experten einfach an die Patienten bringen. Egal ob zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung.

Ein hochkomplexes Erkrankungsbild ist das diabetische Fußsyndrom. Nach aktueller Angabe der DDG (Deutschen Diabetes Gesellschaft) werden von 60.000 Amputationen im Jahr 40.000 infolge von Diabetes durchgeführt. Wird in Deutschland bei chronischen Wunden zu früh amputiert?

Gosch: Eine Amputation ist immer eine schwerwiegende Entscheidung für alle. Generell würde ich nicht sagen, dass zu früh amputiert wird. Ich glaube, wir müssen ein professionelles Wundmanagement früher zu den Risikopatienten bringen, um Amputationen vermeiden zu können. Wenn sich die Frage nach einer Amputation stellt, liegt bereits ein weit fortgeschrittenes Krankheitsbild vor. Ein konservativer Therapieversuch erfordert dann fast immer einen langen Krankenhausaufenthalt, verbunden mit häufigen Verbandswechseln, Schmerzen und einem hohen Leidensdruck und einem unklaren Ausgang.

Wie kann die Polypharmazie bei älteren Patienten mit komplexen Medikationsplänen verbessert werden, um eine optimale Wundversorgung zu gewährleisten?

Gosch: Letztendlich geht es hier um eine optimale Therapie der Grunderkrankungen. Gerade für den älteren Patienten gibt es dazu eigene, sogenannte PIM-Listen (potential inappropiate medication), welche für ältere Patienten ungeeignete Medikamente anführen. Medikamente können die Wundheilung direkt oder auch indirekt beeinflussen. Denken Sie nur an immunsuppressive Substanzen, wie die Glukokortikoide, aber eben auch Substanzen, die Mobilität negativ beeinflussen können, wie zum Beispiel Neuroleptika.

Inwiefern beeinflusst der Klimawandel die Wundheilungsprozesse? Welche neuen Herausforderungen entstehen dadurch für die Wundversorgung?

Gosch: Steigende Temperaturen und vermehrte Feuchtigkeit reizen die Haut und erhöhen damit das Risiko für Infektionen. Hierzu gibt es gute Daten, dass es bei wärmeren Temperaturen im Operationsmonat eine höhere postoperative Wundinfektionsrate gibt. Auch das Freizeitverhalten könnte sich ändern und zu einer vermehrten UV-Strahlung führen, welches eben das Hautkrebsrisiko erhöhen könnte.
Auch das Keimspektrum könnte sich ändern. Aber es könnten sich auch Hautinfektionen, wie zum Beispiel die Leishmaniose, in die mittleren Breiten ausweiten.

Wie können Wundversorgungskonzepte an die neuen klimatischen Bedingungen angepasst werden? Können präventive Maßnahmen empfohlen werden?

Gosch: Die Wundversorgungskonzepte werden sich aktuell nicht ändern. Wir werden vielleicht in Zukunft unsere diagnostischen Überlegungen erweitern müssen. Der Fokus muss aber auch hier auf der Prävention liegen. Aufklärung und Hitzeschutzmaßnahmen müssen viel stärker kommuniziert werden.

In der Fülle von Veranstaltungen – welche ist ihr Highlight?

Gosch: Für mich ist es gerade der Mix an verschiedenen Themen, der den besonderen Reiz des Kongresses ausmacht. Die vielen beteiligten Fachgesellschaften bringen immer wieder neue Aspekte rein und die eingereichten wissenschaftlichen Beiträge runden das Programm perfekt ab. Besonders freue ich mich natürlich auf den Eröffnungsvortrag „Wunde(n)rheiler – Humor“ von Doris Bach. Nicht vergessen werden darf natürlich auch der Netzwerkabend am Donnerstag. Ich denke, es ist für jede(n) etwas dabei.

Autorin: Katrin Franz

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