IT & Kommunikation

Algorithmen oder künstliche Intelligenz: Was bringt uns heute Mehrwert?

03.07.2018 -

Experten diskutierten auf dem Hauptstadtkongress 2018 über Mensch-Maschine-Kollaborationen in der klinischen Entscheidungsfindung.

„Digitalisierung und vernetzte Gesundheit“ lautete das Motto des diesjährigen Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit. Über 8.000 Entscheidungsträger aus Krankenhäusern und Kliniken, Medizin, Pflege, Politik, Wissenschaft, Forschung und aus den Reihen der Kostenträger trafen sich vom 6. bis 8. Juni in Berlin zum Erfahrungs- und Meinungsaustausch. Philips stellte auf dem Branchentreff unter anderem Konzepte und Lösungen für die vernetzte Versorgung vor. Außerdem beteiligte sich das Unternehmen an einer Session im Rahmen des Deutschen Ärzteforums. Experten verschiedener medizinischer Fachrichtungen diskutierten hier über die Frage „Algorithmen oder künstliche Intelligenz: Was bringt uns heute Mehrwert?“.

Künstliche Intelligenz ist kein Hype, sondern Realität

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Sie soll Ärzten dabei helfen, die wachsende Datenflut zu bewältigen, von Routineaufgaben entlasten sowie die Diagnostik und Therapieentscheidung erleichtern. Doch in die Euphorie mischen sich auch kritische Stimmen, die davor warnen, dass KI Mediziner aus Fleisch und Blut über kurz oder lang ersetzen könne. Dr. Michael Perkuhn, tätig als Radiologe und Forscher am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Uniklinik Köln und als Head of Clinical Application Research bei Philips, teilt diese Sorge nicht. In seiner Einführung wagte er vielmehr einen optimistischen Blick in die Zukunft. „Adaptive Intelligenz hat die Aufgabe, Ärzte zu unterstützen, indem sie komplexe Muster in Daten erkennt und die richtigen Informationen zur richtigen Zeit liefert. Nur gemeinsam mit der klinischen Exzellenz entfaltet sie ihr volles Potenzial“, so Perkuhn.

Telemedizin auf der Intensivstation kann Leben retten

Auch Univ.-Prof. Dr. Gernot Marx, FCRA, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklinik RWTH Aachen sowie Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin, sieht Mensch und Maschine nicht in Konkurrenz zueinander, sondern als Team. Am Beispiel der beiden derzeit unter Federführung der Uniklinik RWTH Aachen durchgeführten Projekte THALEA und TELnet@NRW sprach er über die Zusammenführung kritischer Vitalparameter durch intelligente Algorithmen und intuitive Visualisierung in der Intensivmedizin. „Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter und der Bedarf an intensivmedizinischen Leistungen steigt. Vor allem für kleinere und mittlere Krankenhäuser stellt diese Entwicklung eine Herausforderung dar“, erklärte Marx. Er sei fest davon überzeugt, dass die virtuelle 24-Stunden-Verfügbarkeit von Fachärzten mit Zusatzqualifikation Intensivmedizin dazu beitragen könne, eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe Versorgung schwerstkranker Patienten sicherzustellen. Mehr noch: „Auf einer Intensivstation fallen pro Stunde für einen einzigen Patienten 1.000 Daten an. Diese Daten sind ein Rohstoff, aus dem intelligente Algorithmen relevanten Mehrwert schaffen können“, sagte Marx. Internationale Studien belegen, dass sich die Mortalitätsrate bei Intensivpatienten durch zusätzliche teleintensivmedizinische Maßnahmen signifikant senken lässt; die Patienten können die Intensivstation früher verlassen, die Verweildauer verkürzt sich und die Behandlungskosten sinken.

KI wird die Radiologie besser machen

Was kann KI in der Radiologie leisten? Die Antwort gab Prof. Dr. Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen: mehr Sicherheit in der Routine, mehr Zeit für komplexe Fälle und interdisziplinäres Arbeiten. Forsting prognostizierte, dass Europa sich angesichts des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels den gleichen Problemen werde stellen müssen wie China. Dort diskutiere man den Einsatz von KI für die Einführung von Lungenscreenings, da es nicht genug Radiologen für die Reihenuntersuchung gebe. „Selbstlernende Algorithmen – auch hier gilt die Regel `garbage in, garbage out´ – sind immer nur so gut, wie die Daten, mit denen sie trainiert werden. Bei erstklassigem Ausgangsmaterial kann der Computer Diagnosen allerdings schon heute schneller und genauer stellen als das menschliche Auge“, so Forsting. KI werde Radiologen zukünftig bei der Diagnostik einfacher Fälle unterstützen und von Routineaufgaben entlasten. Das schaffe Freiräume für anspruchsvolle, nicht automatisierbare Aufgaben wie Interventionen oder die Erarbeitung von interdisziplinären Therapiekonzepten. „Die Radiologie wird anders werden. Sie wird besser werden.“

Mehr Qualität bei kardiologischen Interventionen

Aufgrund der immer höheren Lebenserwartung leiden auch immer mehr Deutsche an Herzklappenerkrankungen. In den Jahren von 1995 bis 2016 ist die Zahl der stationären Krankenhausaufnahmen wegen defekter Herzklappen um rund 70 Prozent gestiegen. Zugleich hat sich die kathetergestützte Behandlung von Herzklappenerkrankungen bei Patienten mit hohem Operationsrisiko als Alternative zur offenen Herzchirurgie etabliert, da sie eine niedrigere Mortalität im Krankenhaus und nach 30 Tagen aufweist sowie eine kürzere Verweildauer bedeutet. Um die Qualität bei der interventionellen Klappentherapie zu verbessern, setzt Dr. Ralph Stephan von Bardeleben KI in der Bildfusion ein. „Ein Bild ist kein Portrait, sondern eine Ansammlung von Daten. Diese Daten müssen wir nutzbar machen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz können wir Informationen extrapolieren und dadurch relevanten Patientennutzen generieren“, erklärte der Oberarzt Herzkatheter am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz. Die Zusammenführung von statischen 2D-Bildern aus der Fluoroskopie und dynamischen 3D-Bildern aus der Echokardiographie mache es möglich, anatomische Strukturen im schlagenden Herzen zu markieren und diese während der Intervention ohne Einsatz von Kontrastmittel rasch aufzufinden. Dadurch verringere sich die Prozedurzeit. „Bildfusion eröffnet den neuen virtuellen herzchirurgischen Blick des interventionellen Kardiologen“, so Bardeleben.

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