IT & Kommunikation

Spannungsfeld Medizintechnik und IT

08.09.2015 -

Der Betrieb vernetzter Medizintechnik erfordert das Know-how aus Medizin- und Informationstechnik.

Doch einer engen und guten Zusammenarbeit beider Disziplinen – nämlich der Medizin- und Informationstechnik – stehen nicht nur unterschiedliche Herangehens- und Denkweisen im Weg; es fehlt zudem auch eine valide gemeinsame Wissensbasis, die Anleitung für den praktischen Betrieb und Lösungen für tatsächliche Anwendungsprobleme und die Bewertung von Risiken bietet. Auskunft hierzu gibt Jochen Kaiser, Klinikum Stuttgart, IT-Leitungsteam.

M & K: Wie sehen die Aufgaben einer Krankenhaus-IT-Abteilung aus?

Jochen Kaiser: Die werden immer umfangreicher. Abgesehen von den Abertausenden aktiven Medizinprodukten wird vieles in die IT gedrängt – à la: null und eins, dann ist das IT. Das macht sogar vor der Betriebstechnik, elektronischen Schließsystemen, Mitarbeiterausweis mit Chip oder Bezahlfunktion nicht halt. Und plötzlich haben wir ITler ganz viele Aufgaben, zu denen wir eine Meinung haben müssen.

Woher holen Sie sich das Wissen, um sich zu all diesen Dingen eine Meinung zu bilden?

Jochen Kaiser: Das ist nicht einfach, denn es gibt zwar umfangreiche Regelwerke, Normen und Richtlinien, die Medizinprodukte an sich und deren Betrieb regeln, aber den praktischen Fragestellungen häufig hinterherhinken – insbesondere unter Vernetzungsaspekten und was das Risikomanagement betrifft. Und es fehlt konsolidiertes Wissen auf einem Peer-reviewed-Level. Mangels Alternativen werden deshalb teils Veröffentlichungen von einzelnen Fachleuten mit der Wahrheit gleichgesetzt. Eine wichtige Aufgabe ist es darum, Vermutungen und Aktionismus zu reduzieren sowie Meinungen, Ahnungen und Halbwissen so zu strukturieren und aufzubereiten, dass im Schulterschluss zwischen Medizintechnik und Medizininformatik und gemeinsam mit den medizinischen Fachgesellschaften ein Konsens entsteht.

Wie kam es zu dieser Lücke?

Jochen Kaiser: Die IT hat sich lange aus der Definition von Medizinprodukten und medizinischer Software herausgehalten. Das fand fast ausschließlich auf der Ingenieurebene statt. Und mit der Vernetzung merken die Krankenhäuser, dass es so nicht geht, weil die Risikobetrachtung Medizintechnik und IT nicht identisch ist. Deshalb müssen wir jetzt überlegen, wie wir davon wegkommen. Wir müssen ein vernünftiges Modell finden, das den Weg weist, wie wir Risiken im Krankenhaus bewerten und darüber entscheiden. Die Einbindung der Medizintechnik in die IT ist daher ein notwendiger Schritt, der allerdings von der Krankenhausleitung gut organisiert werden muss.

Warum muss das gut organisiert sein und wieso tun sich Medizintechnik und IT in der praktischen Zusammenarbeit häufig so schwer?

Jochen Kaiser: Es gibt schon immer ein Spannungsfeld zwischen der Medizin- und der Informationstechnik. Beide haben mit Technik zu tun, sind aber trotzdem nicht richtig kompatibel. ITler sitzen den ganzen Tag an der Lösung von Problemen, während Medizintechniker mehrere Hundert Servicefälle pro Monat abarbeiten. Viele Häuser haben die Medizintechnik der IT untergeordnet, weil es bei Problemen mit der Anbindung von Medizinprodukten oft so läuft, dass der Medizintechniker sagt, das dürfen wir nicht miteinander verbinden, der Hersteller hat da keine Lösung, das ist gefährlich. Der ITler sagt hingegen: Wir wollen das im Netzwerk haben, wir brauchen die Abrechnung, dann muss man halt mit dem Hersteller darüber reden, wie wir das zusammenschalten. Da gilt der Medizintechniker schnell als Bedenkenträger, und dann liegt die Lösung nahe: Machen wir doch aus der Medizintechnik eine IT-Abteilung.

Und was ist daran falsch?

Jochen Kaiser: Leider bewirkt die Integration der Medizintechnik in die IT allein erst mal gar nichts. Ein Mehrwert ist nur da, wenn sich ein Miteinander ergibt – und das erfordert erfahrungsgemäß Zeit, Kompromisse und den Willen von beiden Seiten. Bei veränderten Abteilungsstrukturen geht es immer auch um den Betriebsfrieden und die Anerkennung von Leistungen. Diese Mikro-Changes, wenn etwa auf dem Mitarbeiterausweis plötzlich IT-Abteilung statt Medizintechnik steht, wurmen die Mitarbeiter, schließlich kümmern sie sich um Technik und nicht um Informationstechnik. Schlanke Prozesse und kurze Kommunikationswege sind Voraussetzung für das direkte Zusammenwirken auf Arbeitsebene. Nur so entstehen Teams, die nicht nur so heißen, sondern als solche funktionieren, um zum Beispiel ein vernünftiges Risikomanagement zu betreiben.

Was verstehen Sie unter einem vernünftigen Risikomanagement?

Jochen Kaiser: Es geht um den Spagat zwischen der Betriebsverantwortung und der Sicherheitsverantwortung. Medizinprodukte-Betreiber müssen sich an Weisungen von den Herstellern halten, die von der Medizintechnik eher selten in Frage gestellt werden, von der Informatik aber schon, nach dem Motto: Die Welt beweist ja ständig, dass sie lebensfähig ist, selbst wenn es keine absolute Sicherheit gibt. Und jetzt müssen beide Perspektiven in ein strukturiertes Modell eingebunden werden, um die relevante Risikogrenze zu finden und Prioritäten zu setzen. Eine Schwäche im System muss erkannt und dann entweder akzeptiert oder abgelehnt und organisatorisch oder technisch durch einen Kniff gelöst werden.

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