Die Zukunft des Labors - Vernetzt und vereint
06.09.2012 -
Keine medizinische Fachdisziplin war in den vergangenen Jahren so sehr strukturellen und ökonomischen Veränderungen ausgesetzt wie die Labormedizin. Die Gründe hierfür sind zu einem Großteil fachimmanent. Kein anderes Gebiet hat einen derartigen Grad an Standardisierung, Automatisierung, IT-Strukturierung und Qualitätssicherung hervorgebracht wie die Labormedizin. Dieser Fortschritt schuf ein hohes Maß an Vergleichbarkeit, wodurch in den vergangenen Jahren ein massiver Wettbewerb in Gang gesetzt wurde.
Der Einstieg international operierender Finanzinvestoren in den letzten Jahren hat schließlich zu teilweise erbitterten Preiskämpfen und Übernahmeschlachten um aussichtsreiche Renditen auf diesem Gesundheitssektor geführt. Die Folge war zum einen ein bemerkenswerter Preisverfall, der nunmehr Deutschland im internationalen Vergleich zum weitaus preisgünstigsten Laboranbieter machte. Zum andern das Aufkommen von einigen wenigen Laborgroßkonzernen, die einen erheblichen Anteil der bestehenden Labore aufkauften und die vormals vielfältige Anbieterlandschaft nachhaltig in Richtung einer oligopolistischen Marktstruktur verschoben haben.
Für Krankenhausbetreiber stellt sich die Frage, wie angesichts dieser dynamischen Entwicklungen ihr Labor weiterhin sinnvoll medizinisch und ökonomisch zu positionieren ist. Hier ist durchaus zu differenzieren. Schließlich macht es einen Unterschied, ob es sich um ein Haus mit Grundversorgung und begrenzter Bettenzahl oder einen Maximalversorger handelt. In jedem Fall ist es wichtig auszuloten, wohin sich die Labordiagnostik künftig bewegt.
IT als Kernkompetenz der Labormedizin
Grundsätzlich lassen sich zwei Entwicklungen ausmachen. Die erste lautet Vernetzung. Rückblickend stand am Anfang die Pionierarbeit von Labormedizinern, die zur systematischen Einführung komplexer IT-Strukturen in Krankenhäusern führte. Dies geschah schlichtweg aus dem Anspruch heraus, große Datenmengen zeitgemäß zu speichern, zu verwalten und fehlerfrei ohne Zeitverzug den Einsendern zur Verfügung zu stellen.
Die IT wurde damit früh zur Kernkompetenz der Labormedizin. Durch das Aufkommen von Kommunikationsnetzwerken hat sich ihre Impulsgeberfunktion konsequent fortentwickelt. Vom Labor initiierte elektronische Informationssysteme (Order Entry) und Point-of-Care (POCT)-Qualitätssicherungsnetzwerke sind heute vom Klinikalltag nicht mehr wegzudenken. Die fortschreitenden technischen Möglichkeiten der elektronischen Vernetzung treiben die operative Vernetzung von Laboren kontinuierlich weiter voran. Dieser Prozess sollte sich sinnvollerweise nicht nur auf die Geschwisterdisziplinen der Labormedizin (Mikrobiologie, Pathologie, Humangenetik) beschränken, sondern auch auf externe Labore ausgeweitet werden. So wurde der Nutzwert der Vernetzung von Laborinstituten beim kürzlichen Berliner Strategietreffen der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Labormedizin (DGKL) deutlich hervorgehoben.
Eine aufstrebende Variante ist die vernetzte Ausweitung der Diagnostik auf auswärtige Einsender des niedergelassenen Bereichs. Als Partner von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) entsteht so ein neues, vielversprechendes Aufgabenfeld für das Kliniklabor. Dieses Modell hat bereits Einzug in Universitätskliniken gehalten, wie das Beispiel der Universität Rostock zeigt, wo universitäre Diagnostikexpertise in Kooperation mit labordiagnostischen MVZ erstmals einem breiten Einsenderkreis zugänglich gemacht wurde.
Diese Entwicklung steht den Bestrebungen, Labordiagnostik aus dem Krankenhaus auszugliedern (Outsourcing), diametral entgegen. Outsourcing des Labors, das von kommerziellen Laboranbietern gern als Allheilmittel zur schnellen Kostensenkung angepriesen wird, kann in kleinen Krankenhäusern sinnvoll sein, birgt bei Kliniken mit hohem Versorgungsgrad aber unwägbare Risiken.
Gerade in Einrichtungen der Maximalversorgung sind komplexe Analyseverfahren ein wesentlicher Bestandteil der Diagnostik. Diese sind meist nicht automatisierbar, werden daher durch Auslagerung nicht wesentlich kostengünstiger. Zudem drohen durch Abgabe der labordiagnostischen Hoheit an Anbieter, die der Renditenmaximierung verpflichtet sind, Nachteile zulasten der Patienten. So wird die ärztliche Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit, eine Kerngröße des Krankenhausbetriebs, von externen Laboranbietern, weil unrentabel, in der Regel nicht angeboten. Schließlich bedeutet Auslagerung für Krankenhäuser die Schaffung schwer umkehrbarer ökonomischer Abhängigkeiten. So sind sich Marktbeobachter weitgehend einig, dass die Phase der Unterbietungspreiskämpfe zur Sicherung von Marktanteilen ihrem Ende zugeht. An ihre Stelle dürften aufgrund einer jetzt weitgehend konsolidierten, von wenigen Laborkonzernen beherrschten Marktsituation künftig konzertierte Preisregulierungen und damit unausweichliche Kostensteigerungen treten - ein Mechanismus der hinlänglich aus der Mineralölbranche bekannt ist.
Leitmotiv Zentrumsbildung
Das zweite erkennbare Leitmotiv für das Krankenhauslabor der Zukunft ist die Zentrumsbildung. Wie die Vernetzung leitet es sich unmittelbar aus dem Mandat der Effizienzsteigerung ab. Zentrumsbildung fängt bei der räumlichen Organisation an. An der Universitätsmedizin Mannheim wurde bereits Anfang der 1970er Jahre weitsichtig die Labormedizin und die Mikrobiologie in einem eigenen Gebäudekomplex zusammengefasst. Heute organisieren viele Häuser ihre Labordiagnostik unter einem Dach. Dies spart Wege und Zeit und minimiert teure Doppelstrukturen. Idealerweise lassen sich so die klassischen Disziplinen der In-vitro-Diagnostik - Klinische Chemie, Blutbank, Mikrobiologie und Humangenetik - räumlich bündeln. Die bewährte Organisationskraft der Labormedizin kann hier eine wichtige Schrittmacherfunktion übernehmen. Die Entwicklung wird hier aber nicht stehen bleiben. Als weiterer Schritt bietet sich entsprechend dem Model der US-amerikanischen Clinical Pathology auch die Einbindung der Gewebediagnostik an. Ein so geschaffenes vereintes „Zentrum für Ex-vivo-Diagnostik" verfügt idealerweise über einen gemeinsamen zentralen Probeneingang und ein einheitliches Laborinformationssystem nach dem Prinzip: gemeinsamer Input, gemeinsamer Output. Besondere Anforderungen werden dabei künftig durch das Voranschreiten der multiparametrischen Diagnostik, also der gleichzeitigen Analyse einer Vielzahl von Genen, Proteinen oder Substanzen, an die Dateninterpretation und die fachliche Beratung der klinischen Kollegen gestellt werden.
Die Zentrumsbildung trägt auch einer wichtigen technologischen Entwicklung Rechnung. Nämlich dem Umstand, dass die Grenzen der diagnostischen Fachdisziplinen immer greifbarer aneinanderrücken, weil sie zunehmend dieselben Technologieplattformen nutzen. Beispiele hierfür sind moderne DNA-Analysen und Sequenziermethoden oder Antikörper-basierte Diagnostikverfahren, die von Labormedizinern, Mikrobiologen und Pathologen gleichermaßen angewandt werden. Ein weiteres Beispiel ist die MALDI-TOF Technik, die derzeit die Keimidentifikation in der Mikrobiologie revolutioniert. Hochmoderne Massenspektrometrieverfahren wie diese waren Kernkompetenz der Klinischen Chemie, lange bevor sie vor Kurzem Eingang in die Mikrobiologie fanden. Zentrumsbildung schafft also neben räumlicher Nähe auch sinnvolle Voraussetzungen für die interdisziplinäre Nutzung gemeinsamer Geräteparks.
All dies dürfte nicht das Ende der zentripetalen Entwicklung sein. So ist es nicht unrealistisch, dass sich künftig auch die bildgebende Diagnostik, eine weitere Säule der diagnostischen Medizin, und die Labordiagnostik aufeinander zu bewegen werden. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits unlängst durch die Inkorporation von namhaften Labordiagnostik-Herstellern in einen führenden Konzern der bildgebenden Diagnostik auf Industrieebene vollzogen. Inwiefern dies eine richtungsweisende Wirkung auf die Entwicklung der Diagnostik im Krankenhaus ausüben wird, bleibt eine der spannenden Fragen der Zukunft.
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