Medizin & Technik

Ernährungstherapie in der Intensivmedizin steht im Fokus

18.10.2015 -

In den letzten Jahren ist die Ernährungstherapie in der Intensivmedizin zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt.

Dabei sind aber auch die Ergebnisse der teilweise hochrangig publizierten Studien mitunter widersprüchlich, so dass viele Fragen zur Ernährung des Intensivpatienten aktuell noch nicht hinreichend abschließend beantwortet werden können. Es scheint jedoch wichtig zu sein, gerade in der Frühphase einer schweren Erkrankung eine Hyperalimentation (Überernährung) zu vermeiden, da dies mit vermehrten Komplikationsraten wie beispielsweise Infektionen verbunden ist. Gerade ein unkritischer Einsatz von parenteraler Ernährung in dieser Krankheitsphase birgt die Gefahr einer Hyperalimentation. In den aktuellen Leitlinien verschiedener internationaler Fachgesellschaften wird daher ein Beginn der parenteralen Ernährung nicht vor dem dritten Tag bzw. in den amerikanischen Leitlinien nicht vor dem siebten Tag empfohlen. Dabei muss beachtet werden, dass mangelernährte Patienten unter Beachtung der aktuellen Erkrankungsphase im Rahmen einer Intensivtherapie wohl ggf. auch von einer früheren parenteralen Ernährung profitieren können.

Bezüglich des Beginns einer enteralen Ernährung sind sich die unterschiedlichen Fachgesellschaften einig und empfehlen den Beginn innerhalb von 24 - 48 Stunden bei Patienten, die erwartungsgemäß nicht innerhalb von drei Tagen einem oralen Kostaufbau unterzogen werden können. Die enterale Ernährung ist darüber hinaus der natürlichere physiologische Applikationsweg, und neben vorteilhaften Effekten auf die Integrität des Magen-Darm-Traktes ist die enterale Ernährung auch kostenmäßig der parenteralen überlegen. In einer US-amerikanischen Publikation konnten Doig et al. 2013 in einer Kostensimulation basierend auf den Ergebnissen verschiedener Metaanalysen eine Ersparnis von etwa 15.000 $ pro Patient für die gesamten Krankenhauskosten bei einer frühen enteralen Ernährungstherapie ermitteln. Für europäische Verhältnisse kalkulierten die Autoren Ersparnisse von über 5.000 € pro Intensivpatient.

Damit ist die enterale Ernährungstherapie in der Intensivmedizin deutlich in den Vordergrund gerückt. Die parenterale Ernährung stellt für diejenigen Patienten eine Alternative dar, bei denen Kontraindikationen für eine enterale Ernährung vorliegen, wo eine enterale Kalorienzufuhr allein nicht ausreicht oder der enterale Kostaufbau aufgrund von gastrointestinalen Motilitätsstörungen nicht möglich ist.

Der enterale Kostaufbau ist beim Intensivpatienten jedoch häufig durch gastrointestinale Motilitätsstörungen erschwert, und bei hohen gastralen Refluxmengen wird oft das Ernährungsziel für den Patienten nicht erreicht. Ein ausreichendes Energieangebot und die Vermeidung einer Hypoalimentation ist jedoch gerade in den späteren Phasen der Erkrankung extrem wichtig, um die Patienten erfolgreich vom Beatmungsgerät zu entwöhnen, entsprechend zu mobilisieren und frühzeitig von der Intensivstation entlassen zu können. In diesem Zusammenhang wird empfohlen, den Kostaufbau nach lokalen Standards und Protokollen zu steuern, da dies zu höheren applizierten Energiemengen führt und die Adhärenz zu den aktuellen Leitlinien verbessert.

Bei ausgeprägten gastrointestinalen Motilitätsstörungen kann zwar durch den Einsatz prokinetischer Pharmaka eine Abnahme des gastralen Refluxes erreicht werden, jedoch sind die Substanzen aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nicht als unkritisch zu betrachten, und häufig stellt sich nach kurzer Zeit eine Abnahme der Wirksamkeit dieser Medikamente ein.

In dieser Situation stellt der postpylorische Zugangsweg, also die Applikation der Ernährungslösung direkt in den Dünndarm, eine interessante Alternative dar. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass durch postpylorische Ernährung höhere Kalorienmengen verglichen zur gastralen Ernährung erreicht werden konnten und das gastrale Residualvolumen (GRV) geringer war. Bei einem hohen GRV besteht die Gefahr für aspirationsbedingte Pneumonien.

Da sich gerade nach ausgedehnten viszeralchirurgischen Eingriffen eine postoperative Magen-Darm-Atonie einstellen kann, wird in einigen Zentren bei bestimmten Operationen sofort intraoperativ eine Sonde postpylorisch nach jejunal vorgeschoben oder sogar durch eine Punktion des Dünndarms und Ausleitung der Sonde durch die Bauchdecke eine Möglichkeit zur postpylorischen Ernährung geschaffen.

Beim Intensivpatienten stellt die endoskopische Anlage einer mehrlumigen Sonde, z. B. Freka Trelumina , Fresenius, Bad Homburg, Deutschland, durch den Gastroenterologen das klassische Vorgehen zur Etablierung eines postpylorischen Zugangs mit gastraler Entlastungsmöglichkeit dar. Dies ist jedoch mit einem hohen personellen und apparativen Aufwand verbunden und erfordert in der Regel eine entsprechende planerische Vorlaufzeit.

Daher wurden in den letzten Jahren verschiedene Sondensysteme entwickelt, die eine bettseitige postpylorische Platzierung erlauben und durch das Intensivteam auch dann angewendet werden können, wenn eine Endoskopie nicht zur Verfügung steht. Selbstplatzierende Sonden wie die Tiger-Tube (Cook Medical Inc., Indiana, USA) oder die Bengmark-Sonde (Pfrimmer Nutricia, Erlangen, Deutschland) werden wie gewohnt gastral eingeführt und sollen Bauart-bedingt durch eine Restperistaltik in eine postpylorische Position transportiert werden. Ein Nachteil dieses Verfahrens ist, dass eine erfolgreiche Platzierung zum Teil erst nach Stunden bis zu Tagen gelingt, was dann zur erneuten Verzögerung einer erfolgreichen enteralen Ernährung führt, bis mit einem Alternativverfahren (z. B. endoskopisch) ein suffizienter postpylorischer Zugang etabliert werden kann.

Mit der Cortrak-Sonde (Corpak Med-Systems, Illinois, USA) steht eine Möglichkeit zur Verfügung, unter direkter Monitorkontrolle über eine elektromagnetische Visualisierung der Position der Sondenspitze eine Dünndarmsonde bettseitig anzulegen (Abb. 1). Nachteilig ist, dass die Rate und die Geschwindigkeit erfolgreicher Platzierungen stark trainingsabhängig sind, jedoch kann bei nicht-erfolgreicher Platzierung unmittelbar ein endoskopisches Alternativverfahren geplant werden.

Die drei letztgenannten Sondensysteme besitzen kein Lumen für eine gastrale Entlastung, so dass bei erhöhtem GRV zusätzlich eine Magensonde angelegt werden muss. So ist die aktuelle Weiterentwicklung der Cortrak-Sonde als zweilumige Sonde eine logische Konsequenz und vorteilhafte Innovation (Abb.2).

Zusammenfassend stellt die enterale Ernährung aufgrund vorteilhafter physiologischer Effekte und der geringen Kosten den Standard in der Ernährungstherapie des Intensivpatienten dar. Häufig wird jedoch durch gastralen Reflux ein adäquater enteraler Kostaufbau erschwert. Hier stellt der postpylorische Zugangsweg eine interessante Alternative zur (supplementierenden) parenteralen Ernährung dar und sollte nach unserer Meinung angestrebt werden. Hierzu stehen neben der klassischen Endoskopie aktuell mehrere Systeme zur bettseitigen Anlage auf der Intensivstation zur Verfügung. Eine abschließende vergleichende Bewertung der unterschiedlichen Systeme ist aufgrund aktueller Studien mit zum Teil kleinen Patientenzahlen und retrospektiven Ansätzen zurzeit nicht möglich. Ebenso bleibt abzuwarten, wie die postpylorischen enteralen Ernährungskonzepte hinsichtlich harter Ergebnisparameter wie Aspirationspneumonie, Energieziele und nicht zuletzt Mortalität im Vergleich mit gastraler oder parenteraler Ernährung in größeren Studien bewertet werden.

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