Gehirnaktivität im Alltag messen
12.06.2020 -
Langzeitmessungen von Gehirnströmen belasten Patienten bislang stark. Oldenburger Hirnforscher haben nun ein neues Verfahren getestet – mit vielversprechenden Ergebnissen.
Nutzerfreundlich, komfortabel und in Zukunft weitgehend unsichtbar: Diese Eigenschaften sollten Messvorrichtungen haben, die elektrische Aktivitäten des Gehirns über lange Zeit messen können. Ein Oldenburger Team um die Neuropsychologen Prof. Dr. Stefan Debener und Sarah Blum stellt jetzt ein entsprechendes Verfahren in einer Studie in der Fachzeitschrift Journal of Neural Engineering vor. Die Forscherinnen und Forscher wiesen in einer Untersuchung mit 20 Freiwilligen nach, dass ihre Vorrichtung, fEEGrid (Flex-printed forehead EEG), vergleichbare Signale aus dem Gehirn liefert wie ein herkömmliches EEG und auch über eine Tragedauer von acht Stunden im Alltag kaum stört.
Langzeit-Messungen von Gehirnströmen sind für Patienten bislang eine Belastung: Um eine Elektro-Enzephalographie (EEG) anzufertigen, werden zahlreiche Elektroden auf dem Kopf verteilt, mit Kleber befestigt und durch eine Kappe fixiert. Messungen über mehr als zwei Stunden – etwa um Epilepsie zu diagnostizieren oder Schlafstörungen zu untersuchen – sind oft nur im Labor möglich. Meist plagt die Betroffenen nach wenigen Stunden unangenehmes Jucken und es können starke Kopfschmerzen auftreten. „Ein komfortables Langzeit-EEG gibt es bislang nicht“, sagt Debener, der an der Universität Oldenburg die Abteilung Neuropsychologie am Department für Psychologie der Fakultät Medizin und Gesundheitswissenschaften leitet. Mit der neuen, flexiblen Messvorrichtung könnten derartige Messungen in Zukunft auch abseits des Labors durchgeführt werden – ohne unangenehme Begleiterscheinungen.
Einsatz für schwer hirngeschädigte Patienten
Das Team um Debener hat das fEEGrid vor allem mit dem langfristigen Ziel entwickelt, schwer hirngeschädigten Patienten dabei zu helfen, mit anderen Personen zu kommunizieren. Es soll insbesondere Patienten zugutekommen, die sich in einem unklaren Bewusstseinszustand befinden. „Untersuchungen der Gehirnaktivität haben gezeigt, dass ein Teil dieser Patienten mehr von der Umwelt wahrnimmt als lange angenommen“, erläutert Debener. Das Team will durch Langzeitmessungen der Gehirnströme feststellen, ob solche Patienten auf bestimmte Umweltreize reagieren und wann sie sich zeitweise in einem wachen Zustand befinden. „Die Voraussetzung dafür sind Langzeitmessungen, die für die Patientinnen und Patienten aber auf keinen Fall unangenehm sein dürfen“, betont Debener.
Die Oldenburger Neurowissenschaftler entwickelten das fEEGrid gemeinsam mit dem bayerischen Unternehmen Easycap aus Herrsching. Die Messvorrichtung besteht aus einem transparenten und flexiblen Trägermaterial, auf das 22 kleine Sensoren und Leiterbahnen mit Silbertinte aufgedruckt sind. Die Vorrichtung wird nicht auf den Haaren, sondern auf der Stirn und den Schläfen platziert. Ein elektrisch leitfähiges Gel stellt den Übergang zur Haut her und ein kleiner Sender überträgt die Signale drahtlos zu einem Smartphone oder einem Computer.
Praktikable Langzeit-Messungen
Um herauszufinden, wie praktikabel fEEGrid-Langzeit-Messungen sind, führte das Team Tests mit 20 gesunden Freiwilligen durch. Die Probanden trugen das mobile EEG insgesamt acht Stunden lang in ihrem Alltag. Zu Beginn und am Ende dieser Periode überprüften die Forscher die Qualität der EEG-Signale, während die Testpersonen jeweils eine Stunde lang eine Reihe von Standardaufgaben erfüllten. Während der zweiten Testreihe wurden die Gehirnströme zum Vergleich zusätzlich mit herkömmlichen EEG-Elektroden aufgezeichnet.
Das Ergebnis: Die mit dem fEEGrid gemessenen Signale waren von guter Qualität und verschlechterten sich auch im Verlauf des Tages nicht. Die Probanden berichteten zudem, dass die Sensoren angenehm zu tragen waren und sie sich von der Vorrichtung kaum beeinträchtigt fühlten. „Wir haben nun ein komfortables Verfahren für EEG-Langzeitmessungen zur Verfügung, das kaum stört und die Pflege von Patientinnen und Patienten nicht beeinträchtigt“, sagt Debener. Das fEEGrid könnte die Basis für eine Art Gehirn-Computer-Schnittstelle bilden, um künftig bei hirngeschädigten Patienten eine einfache Kommunikation anzubahnen, hofft er. Die Messvorrichtung entstand im BMBF-Projekt NeuroCommTrainer, einem von der Universität Bielefeld koordinierten Verbundvorhaben, an dem drei Hochschulen, zwei Unternehmen und die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel beteiligt sind.
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