Harnwegsinfektionen: Prof. Dr. K. G. Naber im Interview
15.03.2012 -
Harnwegsinfektionen: Prof. Dr. K. G. Naber im Interview. Prof. Dr. K. G. Naber, langjähriger Leiter der Urologischen Klinik am Elisabeth-Krankenhaus in Straubing, hat sich ganz besonders durch seine Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Harnwegsinfektionen hervorgetan. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen in seinem Fachgebiet wurde er von der renommierten Vereinigung „International Society of Chemotherapie“ im Jahre 2005 zum Präsidenten gewählt. Für Management & Krankenhaus sprach Dr. Ernst M. W. Koch mit Prof. Naber über Ursachen, Symptome und Therapie von Harnwegsinfektionen.
Management & Krankenhaus: Harnwegsinfektionen werden vor allem bei ansonsten gesunden Frauen sehr häufig festgestellt. Wer ist besonders gefährdet, bzw. welche Ursachen bestehen für diese Erkrankungen?
K. G. Naber: Harnwegsinfektionen (HWI) zählen zu den häufigsten Infektionen, die in komplizierte und unkomplizierte Harnwegsinfektionen unterteilt werden. Als unkompliziert wird das Ereignis immer dann bezeichnet, wenn sich im Harntrakt keine strukturellen oder funktionellen Veränderungen zeigen, die Nierenfunktion normal ist und spezielle Risikofaktoren – z.B. erworbene oder angeborene Abwehrschwäche –, die allgemein Infektionen begünstigen können, fehlen. Harnwegsinfektionen werden meist durch Escherichia (E.) coli oder andere Spezies der Familie Enterobakteriaceae verursacht. Als besondere Gefährdung bei Frauen müssen Unterkühlung, Geschlechtsverkehr, Verwendung von Diaphragmen und Spermiziden angesehen werden.
Management & Krankenhaus: Welches sind die typischen Zeichen, die auf eine Infektion der Blase, der Niere oder im Geschlechtsbereich hindeuten und welche Untersuchungen sind notwendig, um die Erkrankung eindeutig abzuklären?
K. G. Naber: Zu den Symptomen der akuten Cystitis zählen Brennen und Schmerzen beim Wasserlassen sowie ein ständiger Harndrang. Die Diagnosesicherung erfolgt durch die Urinuntersuchung, wobei Leukozyturie und die Ausscheidung von krankmachenden Erregern als Nachweis der Infektion gelten. Davon zu unterscheiden ist die meist sexuell durch Gonokokken oder Chlamydien übertragene Urethritis sowie weitere Entzündungen im Bereich der Geschlechtsorgane. Die Pyelonephritis ist eine Infektion des Nierenbeckens mit Parenchym-Beteiligung. Die klinischen Beschwerden zeichnen sich oft durch hohes Fieber, gelegentlich mit Schüttelfrost, Flankenschmerz oft mit den Symptomen einer Blasenentzündung und Magen-Darm-Beschwerden aus. Die Urinuntersuchung ergibt den Nachweis von Bakterien und weißen Blutkörperchen, wobei sich das Erregerspektrum als ähnlich wie bei der Blasenentzündung erweist; andere Erreger sind selten. Zusätzlich sind auch allgemeine Zeichen einer Infektionserkrankung erhöht wie z.B. Leukozytose und CRP. Die Unterscheidung zwischen einer komplizierten und einer unkomplizierten Nierenbeckenentzündung erfolgt durch bildgebende Verfahren, z.B. Sonographie.
Management & Krankenhaus: Welche Therapie wird bei den unterschiedlichen Verlaufsformen der Harnwegsinfektionen durchgeführt?
K. G. Naber: Die Behandlung der unkomplizierten Cystitis und Pyelonephritis ist rein konservativ, wobei der Antibiotika-Therapie eine zentrale Rolle zukommt. Dabei gilt heute die Kurzzeit-Therapie als Mittel der Wahl. Lange Zeit galt eine Drei-Tage-Therapie mit Trimethoprim oder Co-trimoxazol als Mittel der Wahl. Wegen zunehmender Resistenzentwicklung werden Fluorochinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin) empfohlen, wobei auch gegen diese Antibiotika eine ansteigende Resistenz festzustellen ist. Antibiotika der Beta-Lactam- Gruppe (Cephalosporine, Amoxicillin/ Clavulansäure) eignen sich nicht für die Kurzzeit-Therapie. Nur für Cefuroximpoxetil ist eine dreitägige Therapie als ebenbürtig mit Co-trimoxazol belegt. Für die Therapie der akuten Pyelonephritis wird eine Therapiedauer von 7 bis 14 Tagen empfohlen. Bei schwerem Krankheitsverlauf mit Übelkeit und Erbrechen wird die initiale Antibiotika- Therapie parenteral durchgeführt und später auf oral umgestellt. Zur initialen Therapie eignen sich entsprechend der Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie Fluorochinolone wie Ciprofloxacin, Levofloxacin, Cephalosporine der dritten Gruppe (Cefotaxim), Aminopenicilline in Kombination mit einem ß-Lactamase-Hemmer (Amoxicillin/Clavulansäure) oder Aminoglycoside. Bei schwerem Krankheitsverlauf und bei Patientinnen, bei denen innerhalb von zwei Wochen eine rekurrierende Infektion auftritt, sollten unbedingt neben Urinkulturen auch weitergehende bildgebende Untersuchungen erfolgen.
Management & Krankenhaus: Wie kann das Wiederauftreten vermieden werden?
K. G. Naber: Um erneute Episoden zu verhindern, können folgende Maßnahmen empfohlen werden: regelmäßige reduzierte Gabe von Antibiotika, abends vor dem Schlafengehen treten die Beschwerden im Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr auf, genügt die Antibiotika-Einnahme danach unspezifische Immunisierung durch Urovaxom (oral) oder Strovac (intramuskulär) Extrakte von Cranburry Urin ansäuern. Bei Frauen in der Postmenopause kann die Anzahl akuter Episoden durch die lokale Anwendung von Östriol (Vaginalzäpfchen oder -Creme) um durchschnittlich das 10-fache gesenkt werden.
Management & Krankenhaus: Welche Risiken ergeben sich aus einer Harnwegsinfektion?
K. G. Naber: Die unkomplizierte Cystitis verursacht in der Regel keine schweren Gesundheitsfolgen. Das Gleiche gilt für die akute Pyelonephritis, sofern sie sofort adäquat behandelt wird. Risikofaktoren, z.B. Schwangerschaft, frühe Kindheit, Diabetes mellitus oder komplizierende Faktoren im Bereich der Nieren oder ableitenden Harnwege können eine akute Gesundheitsgefährdung für den Patienten darstellen. Bei Schwangeren ist auch die asymptomatische Bakteriurie behandlungsbedürftig, da bei 20 bis 40 % schwangerer Frauen eine Pyelonephritis auftreten kann. Harnwegsinfektionen entstehen oft im Zusammenhang mit Kathetern. Mehr als 25 % der Patienten, die mehr als sieben Tage Urin-ableitende Katheter benötigen, entwickeln eine Infektion, wobei das Risiko pro zusätzlichen Tag um etwa 5 % zunimmt. Die Mehrkosten einer Episode dieser nosokomialen Infektionen werden mit 500 bis 1.000 US-$ veranschlagt.