11.12.2025 • Top-Themen

Nachhaltigkeit in der Krankenhaushygiene

Die Krankenhaushygiene schützt vor nosokomialen Infektionen. Gleichzeitig verursacht sie ökologische und ökonomische Effekte.

Hans-Otto von Wietersheim, Pforzheim

Nachhaltigkeit in der Krankenhaushygiene
© Wiley Adobe Stock

Nachhaltigkeit ist Pflicht, nicht die Kür. Energie- und Wasserverbrauch, Einsatz von Chemikalien, Einwegmaterialien und Abfallströme sind Effekte, die ein Bündel von evidenzbasierten Maßnahmen, Kennzahlen (KPIs) und Umsetzungsstrategien erfordern, um Infektionsprävention und ökologische Nachhaltigkeit zu vereinen. Schwerpunkte sind Lebenszyklusanalyse (LCA) von Hygienemaßnahmen, optimierte Desinfektions- und Sterilisationsprozesse, material- und abfallarme Lösungen, digitale Unterstützung, Beschaffung, Schulung sowie Governance. Ziel ist eine messbare Reduktion von Emissionen und Ressourcenverbrauch ohne Kompromisse bei der Patientensicherheit. Krankenhaushygiene umfasst organisatorische, baulich-technische und verhaltensbezogene Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen. Nachhaltigkeit erweitert diese Perspektive um Umwelt- (Emissionen, Ressourcen), soziale (Arbeitsschutz, Akzeptanz) und ökonomische Dimensionen. Für Krankenhäuser, als große Verbraucher von Energie, Wasser und Materialien, steigt der Druck, denn das deutsche Gesundheitswesen soll bis zum Jahr 2030 klimaneutral sein. Ein zentrales Instrument auf EU-Ebene ist die EU-Taxonomie-Verordnung, die definiert, welche Investitionen als nachhaltig gelten – etwa beim Klinikneubau oder der energetischen Sanierung. In Deutschland geben außerdem das Klimaschutzgesetz (KSG) und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wichtige Rahmenbedingungen vor.

Lebenszyklus- und Risikoansatz

Die Methodik wird bestimmt von nationalen Empfehlungen und vom aktuellen regulatorischen und normativen Rahmen, z. B. KRINKO, IfSG, Arbeitsschutz, Medizinproduktegesetz, Wasser- und Abfallrecht, Gefahrstoffrecht. Die LCA-Perspektive (Life Cycle Assessment Perspektive) bezieht sich auf die Betrachtung der Umweltauswirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg, von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung. Die Ökobilanz erfasst Rohstoffgewinnung, Produktion, Transport, Nutzung, Wiederaufbereitung und Entsorgung. Relevante Impact-Kategorien: Treibhauspotenzial (CO₂-Äquivalent), Wasserfußabdruck, Eutrophierung, Versauerung, Human- und Ökotoxizität. Dabei spielt die risikobasierte Hygiene eine besondere Rolle: Jede ökologische Maßnahme muss mindestens gleichwertigen Infektionsschutz bieten. Hygienische Mindeststandards sind nicht verhandelbar. Last but not least fällt der Kosten-Nutzen ins Gewicht: TCO (Total Cost of Ownership) inkl. Energie, Wasser, Chemie, Wartung, Abfall, Prozesszeiten und Ausfallkosten durch Infektionen. Nachhaltigkeit in der Krankenhaushygiene ist ein komplexes Thema, das eine umfassende Betrachtung und Zusammenarbeit aller Beteiligten erfordert. Es ist kein Gegensatz zur Patientensicherheit, sondern deren Enabler: Standardisierte, validierte und effizient geführte Prozesse sind in der Regel zugleich die ökologisch und ökonomisch besseren. Durch risikobasierte Auswahl von Verfahren, robuste KPIs, LCA-gestützte Entscheidungen und konsequentes Change-Management können Kliniken ihren ökologischen Fußabdruck substanziell senken – bei gleichzeitiger Verbesserung der Behandlungsqualität und Resilienz. Besonders entscheidend sind strategische Entscheidungen in Bereichen wie Bauweise und Auswahl ökologischer Materialien, Energiequellen, z. B. Umstieg auf erneuerbare Energien, Beschaffungspolitik, etwa durch regionale und faire Lieferketten, Mobilitätsangebote für Mitarbeiter und Patienten, Umgang mit Chemikalien und Medikamenten, z. B. durch Rücknahmesysteme. Ein Krankenhausbett in Deutschland verbraucht jährlich die Energie von rund vier moderneren Einfamilienhäusern, pro Patient werden täglich 500 Liter Wasser benötigt.

Affronts im Krankenhaus

Es gibt oft Zielkonflikte zwischen den Anforderungen an eine effektive Hygiene und den Bestrebungen zur Nachhaltigkeit. Beispielsweise kann der Einsatz von Einwegprodukten zur Infektionsprävention im Widerspruch zur Abfallvermeidung stehen. Die zunehmende Ambulantisierung von Behandlungen stellt die Hygiene ebenfalls vor neue Herausforderungen, da die gleichen Hygienestandards auch bei kürzeren Aufenthalten und weniger Personalressourcen gewährleistet werden müssen. Auch der Ressourcenverbrauch gilt als Herausforderung. Krankenhäuser verbrauchen große Mengen an Energie, Wasser und Materialien, was erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat. Ziel ist es, diese Verbräuche zu reduzieren und gleichzeitig eine hohe Qualität der Patientenversorgung sicherzustellen. Die Hotspots der Krankenhaushygiene und deren nachhaltigen Stellhebel. Händehygiene: ABHR (alkoholbasierte Händedesinfektionsmittel) sind erstlinig, benötigen keine Wasserenergie und haben einen geringeren Fußabdruck als häufiges Waschen mit heißem Wasser. Spender und Logistik: Sensor- oder Hebelspender mit Mehrwegflaschen-/Nachfüllsystem (geschlossen, validierbar) senken Kunststoffabfall. Nudging (Platzierung „Point of Care“, visuelle Cues), Feedback-Dashboards und Peer-Benchmarking erhöhen Compliance ohne Mehrverbrauch. Verhaltensdesign: Nudging (Platzierung „Point of Care“, visuelle Cues), Feedback-Dashboards und Peer-Benchmarking erhöhen die Compliance ohne Mehrverbrauch.

Nachhaltigkeit als Wirtschaftsfaktor

Krankenhäuser laufen rund um die Uhr – und das kostet: Energie, Wasser, Einwegmaterialien. Der Alltag in Kliniken verschlingt enorme Ressourcen. Gleichzeitig wächst der Druck, nachhaltiger zu handeln – aus ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen. Nachhaltigkeit in Kliniken bedeutet weit mehr als Mülltrennung oder den Verzicht auf Plastikbesteck. Oft stellt sich schnelle Amortisation durch Energie-/Wassereinsparung, Chemiereduktion, weniger Abfallgebühren und effizientere Prozesse ein. Dabei helfen Beladungsoptimierung, Stand-by-Management, Dosierkontrolle, Set-Entschlackung, Monitoring. Nachhaltigkeit sollte als strategischer Geschäftswert verstanden werden – nicht nur als ökologisches Ziel. Strategien wie die Einführung energieeffizienter Prozesse, der Einsatz recycelbarer Materialien und eine nachhaltige Lieferkettenmodernisierung könnten dazu beitragen, sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile zu erzielen. Jede Prozessänderung erfordert Re-Validierung (z. B. Reinigungsleistung, Sterilbarrieresystem, Desinfektionswirksamkeit). Dabei gibt es digitale Hebel zu Erreichung der Nachhaltigkeit in der Hygiene: Predictive Maintenance für Sterilisatoren/RDG senkt Leerläufe, Ausfälle; Echtzeit-Compliance (Händehygiene, Reinigungstouren) mit anonymisiertem Tracking; QR-Codes am Gerät, kurze Lernnuggets, jährliche Re-Zertifizierung; Materialflussanalyse (Barcode/RFID) zur Rückverfolgung und Set-Optimierung. Auch Arbeitsschutz und soziale Nachhaltigkeit haben einen hohen Stellenwert: Auswahl niedrig-reizender Chemikalien, Aerosolminimierung, ergonomische Hilfsmittel (Exposition reduzieren); Green-Teams in Hygiene/AEMP/OP; Mitarbeitende in Auswahl- und Testphasen einbinden (Beteiligung); transparente Kommunikation, damit das Sicherheitsniveau unverändert bleibt oder steigt; Pilotdaten teilen (Akzeptanz). Zugleich müssen Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen sicherstellen, dass hohe Hygienevorgaben im Sinne der Patientensicherheit immer erfüllt bleiben. Eine nachhaltige Transformation des Gesundheitswesens kann nur im Schulterschluss gelingen – durch enge Kooperation von Kliniken, Industrie, öffentlichem Sektor und weiteren Akteuren entlang der Versorgungskette.

 

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