Aus den Kliniken

Fazialisparese: Auch Mundgesundheit betroffen

15.12.2022 - Halbseitige Gesichtslähmungen wirken sich auch auf den Gesundheitszustand von Zähnen und Zahnfleisch aus. Eine Fallkontrollstudie des Universitätsklinikum Jena zeigte, dass die Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten im Vergleich zu Gesunden vermindert ist.

Auch im Seitenvergleich schnitt die gelähmte Gesichtshälfte schlechter ab als die nicht betroffene Seite. Das Autorenteam der in PLOS ONE veröffentlichten Studie empfiehlt deshalb die Ergänzung der Behandlung um zahnmedizinische Kontrollen.

Die meisten Betroffenen fühlen sich schwer beeinträchtigt, wenn durch eine Erkrankung des Gesichtsnervs die Muskulatur im Gesicht unbeweglich wird. Das Sprechen fällt schwer, die Mimik ist eingeschränkt, Essen und Trinken bereiten Probleme. Das führt dazu, dass die oft auf eine Gesichtshälfte beschränkte Lähmung, die als Fazialisparese bezeichnet wird, auch als psychisch sehr belastend empfunden wird und sich Patientinnen und Patienten sozial zurückziehen. Wegen der Komplexität der Erkrankung, die zum Beispiel nach Operationen oder Infektionen auftreten kann und in einem Drittel der Fälle nicht vollständig abklingt, kümmert sich im Fazialis-Nerv-Zentrum am Universitätsklinikum Jena ein interdisziplinäres Team um die Betroffenen.

Ein wichtiger Aspekt dieser Behandlung ist die Vermeidung von Folgeschäden. Dazu zählt zum Beispiel eine regelmäßige augenärztliche Kontrolle, weil auf der gelähmten Seite Lidschluss und Tränenproduktion beeinträchtigt sein können. „Es wird auch beobachtet, dass die Patienten Probleme mit der Mundhygiene und daraus resultierend mit der Zahn-und Mundgesundheit haben“, so Lisa Strobelt, „dazu gab es aber unseres Wissens noch keine systematischen Analysen.“ Die inzwischen approbierte Zahnärztin machte deshalb eine Untersuchung der Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten mit Fazialisparese zum Thema ihrer Doktorarbeit.

Insgesamt 86 Personen nahmen an der Studie teil, die Hälfte mit einer Fazialisparese, die andere mit gesunder Gesichtsmuskulatur. Lisa Strobelt bestimmte bei allen mehrere zahnmedizinische Indizes, um die Mundgesundheit einschätzen und vergleichen zu können. Sie untersuchte, wie fest die Zähne sitzen, wieviel Zahnbelag und Zahnstein vorhanden ist, ob Zähne kariös sind und wie viele Füllungen sie aufweisen, wie tief die Zahnfleischtaschen sind und ob das Zahnfleisch zu Blutungen neigt. In der Paresegruppe erhob sie diese Werte sowohl für die gelähmte als auch für die andere Gesichtshälfte. Außerdem beantworteten die Studienteilnehmer Fragen zu ihrer Zahnhygiene und der Einschätzung der eigenen Mundgesundheit.

Das Ergebnis: In der Studiengruppe mit Fazialisparese traten deutlich häufiger Zahnbelag, Zahnfleischbluten und unbehandelte Karies auf als in der Kontrollgruppe. Zahnstein und Zahnlockerungen waren jeweils etwa gleich häufig. Der Vergleich der Gesichtsseiten in der Paresegruppe zeigte, dass die gelähmte Seite weitaus mehr von Zahnbelag, Zahnfleischbluten und -taschen, von Parodontitis und daraus folgend von einem Abbau des Zahnhalteapparates betroffen war als die gesunde Seite. Dieser Seitenunterschied war bei Männern deutlicher als bei Frauen. Es spielte auch eine Rolle, welche Seite gelähmt ist und mit welcher Hand die Zahnbürste geführt wird: Bei Rechtshändern mit einer linksseitigen Parese fiel der Seitenunterschied geringer aus. Dieser Effekt war jedoch nicht signifikant.

Die Einschätzungen der Studiengruppen zu ihrer Mundhygiene ergänzen diese Befunde. Über die Hälfte der Paresegruppe behielt mit Einsetzen der Lähmung die Zahnputzgewohnheiten bei, ein Teil wechselte wegen der veränderten Empfindlichkeit von der elektrischen auf eine Handzahnbürste. Die mangelnde Beweglichkeit und Lippenschluss führten dazu, dass manche Patienten Zahnseide und Mundspülung seltener einsetzten. Die Mehrzahl der Paresebetroffenen berichtete von häufigen Bissen in die Wange, Speiseresten in der Wangentasche und Speichelfluss im Mundwinkel auf der gelähmten Seite. Zahnarztbesuche waren seltener als in der Kontrollgruppe.

„Mit unserer systematischen Untersuchung konnten wir detailliert belegen, dass eine Fazialisparese durch die veränderte Motorik und Speichelproduktion die Mundgesundheit deutlich beeinträchtigt“, fasst Lisa Strobelt, zusammen, „deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen ihre Mundhygiene nicht vernachlässigen.“ „Das ist eine wichtige Ergänzung für unser Behandlungskonzept. Wir weisen unsere Patientinnen und Patienten jetzt auf dieses vorher kaum bekannte erhöhte Risiko für ihre Zähne hin und raten, zahnärztliche Kontrollen, aber auch das vor der Fazialisparese gewohnte Zähneputzen nicht aufgrund der Lähmung zu vernachlässigen“, ergänzt PD Dr. Fabian Volk, der Leiter des Jenaer Fazialis-Nerv-Zentrums.

Der HNO-Arzt betreute das Projekt gemeinsam mit der Zahnärztin PD Dr. Ina Schüler, die die Sektion Präventive Zahnheilkunde am Uniklinikum Jena leitet. Sie betont die Interdisziplinarität der Studie: „Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass sowohl die Zahnmediziner den gesamten Menschen als auch die Humanmediziner die Mundhöhle im Blick haben und die möglichen Auswirkungen von Erkrankungen auf die Mundgesundheit berücksichtigen können.“ Dieser Aspekt gewinnt auch im Zahnmedizinstudium an Bedeutung.

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