Wie lässt sich Talent für den Arztberuf erkennen?
23.08.2024 - Der Test „Interaktionelle Kompetenzen Medizin" (IKM) beurteilt die sozial-kommunikative Eignung für den Arztberuf. Er soll verwendet werden, um Medizinstudienplätze an Personen zu vergeben, die hier über besondere Kompetenzen verfügen und für den Arztberuf besonders geeignet sind.
Eine erste Untersuchung gibt deutliche Hinweise für die Zuverlässigkeit des IKM. Die Studienergebnisse sind nun in einem Fachjournal veröffentlicht. Wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren für das Medizinstudium verbessern die medizinische Versorgung und können einen Beitrag gegen den Ärztemangel leisten.
Wer ist ein guter Arzt oder eine gute Ärztin? Aus Patientensicht ist neben dem Fachwissen auch der soziale Umgang und eine gute Kommunikation wichtig. Wenn im Arztgespräch die Folgen einer schweren Erkrankung und Möglichkeiten zur Therapie besprochen werden, erwarten Betroffene guten medizinischen Rat genauso wie ein zugewandtes, sensibles und wohlwollendes Gegenüber. Kommunikations-Trainings im Medizin-Studium können die sozialen Fähigkeiten angehender Ärztinnen und Ärzte zwar verbessern, ein Teil bleibt aber primäre Begabung. An der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg soll die sozial-kommunikative Eignung für den Arztberuf deswegen über eine zusätzliche Auswahlquote bereits bei der Studienplatzvergabe berücksichtigt werden. Für diesen Zweck hat die Koordinierungsstelle für Auswahlverfahren, heiTEST, an der Medizinischen Fakultät Heidelberg den Test „Interaktionelle Kompetenzen Medizin“ (IKM) entwickelt. Der IKM ergänzt bestehende medizinisch-fachliche Eignungstests im Vergabeverfahren für Medizinstudienplätze in Heidelberg. Eine Forschungsgruppe von heiTEST hat den IKM wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse hat das Team nun im Fachmagazin Advances in Health Sciences Education veröffentlicht.
Studienanfänger nehmen testweise am IKM teil
Im IKM müssen Bewerberinnen und Bewerber für einen Medizinstudienplatz typische kommunikative Herausforderungen des ärztlichen Alltags bestehen. So diskutieren sie etwa mit erfahrenen Schauspiel-Patientinnen und -Patienten über gesundheitsgefährdende Lebensstile, die dringend geändert werden müssen. Die Szenen werden auf Video festgehalten und von geschulten Prüfungs-Teams bewertet. Um den IKM zu testen, ließ eine Forschungsgruppe von heiTEST 2021 70 Heidelberger Medizin-Studienanfängerinnen und -anfänger freiwillig am IKM teilnehmen und wertete die Ergebnisse aus. Sie verglichen unter anderem die Prüfungsergebnisse mit der individuellen Wahrnehmung der Schauspielerinnen und Schauspieler. Dabei zeigte sich: Von Teilnehmenden, die im IKM sehr gut bewertet wurden, fühlten sich die Schauspiel-Patientinnen und -Patienten auch besonders gut betreut. „Unsere Schauspiel-Patienten können ärztliches Verhalten gut beurteilen, denn sie haben schon an zahlreichen vergleichbaren Simulationen teilgenommen. Dass ihre Einschätzung mit dem Ergebnis des IKM-Tests so gut übereinstimmt, ist daher ein wichtiges Indiz für die Güte unseres Tests“, sagt Professorin Dr. Sabine Herpertz, Ärztliche Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und bis 2023 Studiendekanin an der Medizinischen Fakultät Heidelberg sowie Letztautorin der Studie. An der Medizinischen Fakultät Heidelberg helfen Schauspiel-Patienteninnen und -Patienten schon seit vielen Jahren in der Lehre und bei Prüfungen während des Medizinstudiums.
Die Forschungsgruppe fand auch heraus, dass die soziale Kompetenz mit längerer Berufserfahrung steigt: Teilnehmende, die bereits mehr als sechs Monate im Gesundheitsbereich gearbeitet hatten, zeigten etwas bessere Ergebnisse. „Wer gut im IKM abschneidet, bringt also praxisrelevante soziale und kommunikative Fähigkeiten mit, auf die im Studium gut aufgebaut werden kann“, erklärt Dr. Dorothee Amelung von der Koordinierungsstelle heiTEST und Erstautorin der Studie. Zudem verglichen die Forschenden die Ergebnisse des IKM mit denen des ebenfalls durchgeführten medizinisch-fachlichen Eignungstests – dem Test für Medizinische Studiengänge, TMS. Hier zeigte sich kein Zusammenhang. „Das bedeutet, dass wir mit dem IKM Kompetenzen für die ärztliche Praxis testen, die unabhängig sind von der medizinisch-fachlichen Eignung“, ergänzt Dr. Leonie Fleck, Wissenschaftlerin bei heiTEST und ebenfalls Erstautorin der Studie. Zusammengenommen bewerten die Forschenden die Ergebnisse als ersten wichtigen Schritt für eine Validierung des IKM.
Ganzheitliches Auswahlverfahren hilft, medizinische Versorgung zu sichern
„Mit dieser Studie sind wir dem Ziel eines wissenschaftlich fundierten Auswahlverfahrens, das die Eignung zur Tätigkeit als Ärztin oder Arzt ganzheitlich berücksichtigt, einen großen Schritt nähergekommen“, sagt Professor Dr. Hans-Christoph Friederich, Studiendekan an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. „Medizinstudienplätze werden immer begrenzt bleiben. Aus Patientensicht ist es wichtig, dass wir bei der Auswahl der Studierenden zuverlässig Personen identifizieren, die später gut, gerne und für möglichst weite Teile ihres Berufslebens als Ärztinnen und Ärzte praktisch tätig sind. Besonders im Hinblick auf unsere alternde Gesellschaft und den zunehmenden Fachkräftemangel ist das ein wichtiger Beitrag, um die medizinische Versorgung in Deutschland zu sichern“, so Friederich.
In kommenden Studien wollen die Forscherinnen und Forscher von heiTEST verfolgen, wie sich Teilnehmende des IKM während und nach dem Studium entwickeln. Seit dem Wintersemester 2023 / 2024 werden jeweils 5 Prozent der Studienplätze an der Medizinischen Fakultät Heidelberg nach Vorauswahl über den TMS durch den IKM vergeben. „Langfristig brauchen wir ein einheitliches Testverfahren, das begleitend mit dem TMS an verschiedenen Fakultäten eingesetzt werden kann. Der IKM ist ein guter Anwärter dafür“, sagt Friederich.
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