23.08.2022 • News

Warum Minen eine schreckliche und grausame Waffe sind

Was Krieg wirklich bedeutet wird uns nun wieder bei der medizinischen Versorgung der ersten Opfer des Ukrainekrieges, die jetzt in Deutschland eintreffen, um hier medizinisch versorgt zu werden, vor Augen geführt.

Wiley Shutterstock 174080615
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Von Prof. Dr. Michael Wild, Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie am Klinikum Darmstadt

Europa wurde die vergangenen 77 Jahre vom Krieg verschont und die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen fanden weit entfernt auf anderen Kontinenten statt. Die zahlreichen Opfer dieser Kriege waren und sind weit entfernt. Was moderne Waffen jenseits der so gerne von den Militärs gepriesenen Präzisionswaffen anrichten können, ist aus dem kollektiven Gedächtnis in Europa verschwunden und die Erinnerungen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sind leider verblasst. Was Krieg wirklich bedeutet wird uns nun wieder bei der medizinischen Versorgung der ersten Opfer des Ukrainekrieges, die jetzt in Deutschland eintreffen, um hier medizinisch versorgt zu werden, vor Augen geführt.

Schreckliche Waffe gegen Menschen: Antipersonenminen

Da die Unfallchirurgie ursprünglich aus der Kriegschirurgie entstanden ist, ist die Behandlung kriegsverletzter Menschen eine Domäne unseres Faches, auch wenn wir Unfallchirurgen nicht mehr geglaubt haben, dass wir mit diesem Thema in Europa nochmal konfrontiert werden. Eine der schrecklichsten Waffen die gegen Menschen eingesetzt werden können sind dabei Antipersonenminen, deren Ziel es nicht ist den Feind zu töten, sondern gerade so zu verletzen, dass er möglichst große Qualen erleidet. Antipersonenminen sind bewusst darauf angelegt, dem Feind eine möglichst grausame Verletzung zuzufügen, so dass er nicht nur am Weiterkämpfen gehindert wird, sondern auch die begleitenden Kameraden durch den Anblick der durch die Mineneinwirkung entstandenen meist weit aufgerissenen Beinamputationswunde und die grausamen Schmerzensschreie einzuschüchtern und zu demoralisieren. Ein weiteres klares Ziel des Mineneinsatzes ist es erhebliche Ressourcen beim Feind zu binden, der sich an der Front um den schwerverletzten Soldaten kümmern muss. Letztendlich soll der Feind aber nicht nur an der Front, sondern auch jenseits der Front durch die aufwendige medizinische Versorgung geschwächt werden, da diese Explosionswunden schwierig zu behandeln sind.

Neben den Soldaten leidet während und nach kriegerischen Auseinandersetzungen aber auch die Zivilbevölkerung und insbesondere Kinder an den Folgen von Minenverletzungen, da viele Minen selbst nach Beendigung des Krieges im Boden verbleiben und nur schwer aufgefunden werden, weil moderne Minen überwiegend aus Kunststoffen bestehen damit sie nicht durch Metalldetektoren entdeckt werden und ihre Herstellung möglichst preiswert ist.

Das medizinische Hauptproblem bei Minenopfern ist neben der Verstümmelung des Opfers die Einsprengung von Fremdkörpern aus der Mine selbst sowie von Erde und losem Material, welches bei der Explosion der im Boden versteckt liegenden Mine hochgeschleudert und tief in die Beine des Minenopfers eingesprengt wird. Dies führt nahezu immer zu schwersten Infektionen der Weichteile, der Muskulatur und der Knochen, die nur schwierig zu therapieren sind, da die meisten Fremdkörper im Gegensatz zu einem Projektil sich nicht durch Röntgenstrahlen darstellen und damit auffinden lassen.

Medizinische Versorgung des Amputationsstumpfes

Meist leiden die Minenopfer auch noch Jahre nach der Explosionsverletzung unter immer wiederkehrenden bakteriellen Entzündungen am Amputationsstumpf sowie oft auch an dem nicht amputierten Bein, da auch dies meist durch Fremdkörpereinsprengungen bei der Minenexplosion betroffen ist. Dies hat zur Folge, dass die von einer Mine verletzten Patienten zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen müssen und die Versorgung des Amputationsstumpfes mit einer Prothese meist erst spät erfolgen kann. Auch der Einsatz von Antibiotika ist meist schwierig, da sich oft zahlreiche verschiedene Keime in der Wunde befinden, die zudem oft noch sehr schnell entsprechende Resistenzen gegen die eingesetzten Antibiotika entwickeln. Die Keime, die sich auf den eingesprengten Fremdkörpern befinden werden zudem von den eingesetzten Antibiotika nicht erreicht und sind der Ausgangspunkt neuer beziehungsweise wieder aufflammender Infektionen sobald das Antibiotikum abgesetzt wird.

Wenn man sich die Rationale des Mineneinsatzes als einigermaßen zivilisierter Mensch durch den Kopf gehen lässt, muss man über die grausame Natur des Menschen, der einem Minenopfer – sei es ein Soldat oder ein Zivilist – das Menschliche aberkennt und jedes militärische Mittel entsetzt um seinen Gegner zu vernichten, entsetzt sein. Die Initiative den Mineneinsatz bei kriegerischen Auseinandersetzungen als Kriegsverbrechen zu definieren kann man nur unterstützen und im Sinne der von diesem Krieg betroffenen Menschen hoffen, dass dieser unsägliche Krieg bald ein Ende findet.

Prof. Dr. Michael Wild, Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfall- und...
Prof. Dr. Michael Wild, Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie am Klinikum Darmstadt. Foto: Klinikum Darmstadt

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